Das Odeon, Café mit Bar und Restaurant, ist wunderschön und liegt in vorzüglicher Lage am Bellevue in Zürich. Das „Grand Café Odeon“ wurde exakt am 1. Juli 1911 um 18.00 Uhr eröffnet. Der Kaufmann Julius Uster, ehemaliger Oberst der Schweizer Armee, ließ an der Ecke Sonnenquai und Rämistrasse den Usterhof mit einer schönen Tuffsteinfassade bauen. Offiziere der Armee waren damals angesehen und hatten bürgerlichen Status. Uster wohl auch Geld. Der Usterhof mit seiner Lage in Zentrum war wie geschaffen für ein Grand Café. Das Odeon, im Stil der Wiener Kaffeehäuser, übertraf bei der Eröffnung alle Erwartungen der verwöhnten Zürcher und ist auch heute noch sehr angesagt. Der Raum ist zwei Etagen hoch und hat große Fenster, beinahe von der Decke bis zum Boden. Die Wände sind mit Marmor verkleiden, es gibt überall reichlich Messingverschnörkelungen und imposante Kronleuchter. Heute ist vom Café leider ein Teil durch eine Glasscheibe abgeteilt. Im abgetrennten Teil befindet sich eine Apotheke. Der Kommerz hat wohl seinen Tribut gefordert.

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~Das Odeon: Kaffeehauskultur seit 1911.~

Früher war das Café, mit einem riesigen, durchgehenden Raum über die ganze Hausseite, natürlich noch schöner und imposanter. Und früher saß ich oft morgens in einer der Raumnischen beim Kaffee und Buch. Nämlich dann, wenn eine Doppelstunde an der Kunstgewerbeschule, an der ich studierte, ausfiel oder ich einfach keinen Bock für Schule hatte. Es gab reizende Gespräche mit andern Gästen. Etwa mit zwei Hutmacherinnen aus dem Quartier oder mit Handwerkern, die gerade Pause einlegten. So erinnere ich mich. Im Odeon gab es zu meiner Studienzeit auch die Minirockrevolte unserer Klasse, die erste und einzige in Zürich. Sehen Sie den Artikel hier.

Aber die eigentlich erwähnenswerten Gäste über die Zeit waren die prominenten Intellektuellen, die das Odeon zu ihrem Wohnzimmer machten. Die Website zur Geschichte des Odeons sagt folgendes: „Die Namen aller Schriftsteller, Dichter, Maler und Musiker aufzuzählen, die im Odeon ein- und ausgingen, ergäbe sicherlich einen lückenlosen Querschnitt durch die musische Prominenz von weit mehr als einem halben Jahrhundert. Nur einige seien hier genannt, welche sich die Klinke in die Hand gaben und dem Odeon den Ruf eines Intellektuellentreffpunktes vermittelten: Franz Werfel, der österreichischer Lyriker und Erzähler war 1918 zum Aufführen des Stückes ,die Troerinnen’ nach Zürich gekommen. Das Stück hatte zu nie vorher erlebten Friedensdemonstrationen geführt. Stefan Zweig, Frank Wedekind und Karl Kraus, Verfasser der ,Fackel’ sowie William Sommerset Maugham, Verfasser von Theaterstücken und Kurzgeschichten oder Erich Maria Remarque, der Autor des Antikriegsromans ,Im Westen nichts Neues’ waren Gäste. Weiter Kurt Tucholsky, Ernst Rowohlt, Klaus Mann und Alfred Kerr. Der irische Autor James Joyce verbrachte insgesamt rund fünf Jahre in Zürich, unzählige Stunden davon im Odeon. In seinen Werken tauchten immer wieder Namen von Zürcher Strassen und Plätzen, Lokalen oder Personen in verschlüsselter Form auf. Ein Vertrauensmann der Emigranten und Stammgast im Odeon war Dr. Emil Oprecht, Verleger und Buchhändler in der Rämistrasse. Er half vielen Schriftstellern, indem er deren Werke druckte und auf den Markt brachte.“

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~Geschichte und Gemütlichkeit: Wo ist der Geist von James Joyce?~

Von den erwähnten Personen liegen mir James Joyce und Karl Kraus am nächsten. Joyce kam 1915 von Triest nach Zürich, da ihm als britischer Staatsbürger in Österreich-Ungarn, zu dem Triest gehörte, während des Ersten Weltkrieges die Inhaftierung als feindlicher Ausländer drohte. Ebenfalls nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges (1914) weilte Karl Kraus bisweilen in Zürich. Wann das genau war, ist mir unbekannt, da er auch immer wieder in Wien war. Aber datiert vom 1. August 1917 gibt es einen Brief von Frank Wedekind an Kraus in Zürich. Karl Kraus war wohl eher Pendler. Zu meiner Studentenzeit habe ich mich damals an der Lektüre der beiden Autoren vorwiegend im Odeon versucht. James Joyce mit seinem Monsterwerk „Ulysses“ war eine schwer verdaubare Odyssee für mich. Ich beiße mir auch heute noch die Zähne an dem wunderbaren Werk aus. Karl Kraus wähnte ich einfacher konsumierbar. „Die letzten Tage der Menschheit“, eine Tragödie in 5 Akten mit Vorspiel und Epilog, entsprach schon vom Titel her meinem damaligen Drang nach Aufmüpfigkeit, Fatalismus und Nihilismus und war für mich eher zu verstehen, sofern ich damals überhaupt etwas verstanden habe. Der streitbare und bissige Kraus rechnet darin mit dem Ersten Weltkrieg ab. In mehr als zweihundert nur lose zusammenhängenden Szenen vereint er Zitate aus Zeitungen, militärische Tagesbefehle, Gerichtsurteile etc. zu einem Mosaik, dass gedankenlose Rücksichtslosigkeit, Dummheit und Verlogenheit anprangert. Großartig, so fand ich damals, die Vorlage zu einem Theaterstück aus Schnipseln zu montieren.

1915 erhielt das Odeon Besuch von den Dadaisten, die Besucher und Personal in seltsame Gespräche verwickelten. Später waren berühmte Musiker wie Alban Berg da, Wissenschaftler wie Albert Einstein und Mediziner wie Ferdinand Sauerbruch. Der damalige Direktor der chirurgischen Klinik des Kantonsspitals Sauerbruch verordnete sich nach getaner Arbeit mindestens eine Flasche Champagner. Um Aufsehen zu vermeiden, wurde der Champagner später vom Kellner Mateo in eine Kaffeekanne umgefüllt. Ab 1930 kamen die Emigranten, die den Glanz des Odeons aufpolierten. Um 1970 gab es Probleme mit sogenannten destruktiven Elementen. Heute ist das Odeon wieder normal. http://www.odeon.ch

Odeon_Terrasse

~Die Terrasse: Selbst bei schlechtem Wetter gut besucht. Ab Mittag.~