Francis Picabia im Kunsthaus Zürich
Oktober 5, 2016
Der französische Maler, Grafiker und Schriftsteller Francis-Marie Martinez Picabia wurde am 22. Januar 1879 in Paris geboren und verstarb am 30. November 1953 ebenfalls in Paris. Nun hatte ihm vom 3.6.-25.9.2016 das Kunsthaus Zürich in Zusammenarbeit mit dem Museum of Modern Art New York eine Retrospektive gewidmet. Diese Auseinandersetzung mit der immer heftig diskutierten Persönlichkeit schien überfällig. Der Zeitpunkt der Ausstellung ist in Zusammenhang mit dem 100-jährigen Jubiläum der in Zürich entstandenen Dada-Bewegung zu sehen. Ich habe darüber hier berichtet. Picabia war kurzzeitig Dadaist, aber nicht nur.
~Titelmotiv zur Ausstellung.~
Er malte erst im Stile des Impressionismus, dann des Fauvismus, des Kubismus, agierte im Stile des Dadaismus, des Surrealismus und vielem mehr. Er unterschied nicht zwischen hoher Kunst und Kitsch und verarbeite Einflüsse von überall her. „Selbstkritisch und mit beißendem Humor stellte er die Grundsätze der Moderne als progressiv angelegte Entwicklungslinie in Frage“ wird auf der Website zur Ausstellung geschrieben. Das klingt auch heute noch interessant. Die gezeigten Werke in der Ausstellung haben mich in der Abfolge aber eher verwirrt. Da ein impressionistisches Bild, das man von Claude Monet schon besser gesehen hat. Da ein kubistisches Werk, das eine Kopie eines Bildes von Georges Braque sein könnte. Etc. Bösartig könnte man heute meinen, dass er alles ein wenig versucht hat. Pfui. Diese Meinung ist schändlich und entspricht der Großartigkeit von Picabia keineswegs. Francis Picabia war ein genialer Denker, der mit seinen Werken alles in Frage stellte. Er malte nicht, er dachte. Er sagte „Unser Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann“. Dieser Satz ist Programm und er gefiel mir schon früher so gut, dass ich ihn als Motto über einen meiner Blogs stellte.
~„Dresseur d´animaux“ von 1937.~
Wenn man nun von Picabia eine übliche Künstlerlebensgeschichte erwartet, muss man ebenfalls verwirrt sein. Er wurde als Sohn eines kubanischen Botschaftsangestellten adliger Herkunft und einer bürgerlichen Französin begütert geboren. Er hatte die beste Ausbildung und früh Erfolg. Er kannte die einflussreichsten Leute. Kein Vergleich zu den meisten Künstlern, die zu dieser Zeit ebenfalls in Paris ihr Glück versuchten. Wie den Italienern, den Russen, den Spaniern. Viele wurden ob ihrer mutigen Experimente geächtet und sie wurden erst spät anerkannt. Wenn überhaupt. Der von mir so geliebte italienische Maler Amedeo Modigliani beispielsweise konnte in Paris oft seine Miete nicht bezahlen, starb früh an Tuberkulose und wurde erst nach seinem Tod bekannt. Francis Picabia ging es immer gut. Da er nicht in das Raster eines armen Künstlers passte und er sich nie für lange Zeit einer Stilrichtung unterordnete, sollte er aber nicht verwirren. Besonders begeistert bin ich, als ich las, dass der mit dem bedeutenden Autor der Surrealisten, Guillaume Apollinaire, befreundet war und der geniale Objektkünstler Marcel Duchamp von ihm begeistert war.
~Typografische Arbeiten für die Zeitschrift „391“.~
Bei Begehen der Ausstellung haben mich zwar viele Bilder von Picabia wie die „Monstres“ nicht begeistert. Trotzdem fand ich einen wunderbaren Schatz: Es sind seine grafischen Arbeiten für Zeitschriften, wie für die Dadazeitschrift „391“, die ich kaum kannte. Für mich war das großartig. Picabia wurde wie schon erwähnt von mannigfachen Quellen inspiriert. So zum Beispiel von Darstellungen in technischen Katalogen. Er stellte eine Zündkerze dar, die keine ist und gab ihr als Titel einen Frauennamen. Er experimentierte mit Textfragmenten. Moderne Typografen sehen da alt aus. Er hatte einfach schon alles gemacht. Schön ist auch der Entwurf eines Theatervorhangs zu dem avantgardistischen Ballett „Relâche“, zu dem er das Libretto schrieb und Erik Satie die Musik komponierte. Also war die Ausstellung auch für mich ein Gewinn. Sowieso.
~Theatervorhang zu dem avantgardistischen Ballett „Relâche“.~