Der Diplom-Hirt 2): On Tour

November 27, 2017

Es geht hier immer noch um Otto Knöpfli, der Diplom-Hirt in den Schweizer Alpen ist. Ja, der typisch Schweizer Name stimmt und das mit dem Diplom auch. In der letzten Folge „Der Diplom-Hirt 1): Einstieg“ ging es um Hirten, Schafe, Herdenschutz- und Hütehunde allgemein. Nun wäre es interessant zu wissen, wie das Leben eines Hirten auf der Alp so abläuft.

~Otto Knöpflis Hütte.~

Otto Knöpfli war zumindest in der vergangenen Saison Springer. Das heißt, er war immer da, wo Not an Hütern war. Das bedeutete für ihn erst ein Gratis-Job in einer Gemeinde, die kein Geld für einen Hirten hatte. Dann wurde er über das Alpofon zu einem Notfall gerufen. Das Alpofon ist eine Schweizer Erfindung, die aber nichts mit dem legendären Alphorn zu tun hat. Auch nicht mit dem Musikinstrument Alpophon, das ähnlich wie ein Alphorn ist, nur anders. Das Alpofon, mit „f“ geschrieben, ist eine zentrale telefonische Vermittlungsstelle. Da sind die Schafhirten erfasst und werden gebucht.

~Die Alp Cadriola im Bündnerland.~

Auf der Alp „Cadriola“, die liegt zwischen dem Hinterrhein und dem Einshorn im Kanton Graubünden, wurde ein greiser Schafhirt plötzlich krank. Otto wurde zu Hilfe gerufen, und das hieß dalli-dalli. Um alles noch besser zu erklären muss man folgendes wissen: Es gibt die Schafbesitzer, die ihre Schafe jeden Sommer auf die Alp bringen. Dann den örtlichen Schafmeister, der die Alp verwaltet und den Schafhirten. In diesem Fall stellte sich das Problem, dass die Herde von 476 Schafen von drei verschiedenen Besitzern stammte. Sie war also nicht homogen. Dann hatte der ursprüngliche Hirt, obwohl sehr erfahren, auf Grund seines Alters in den letzten Tagen nicht mehr die Kraft seine Herde ordentlich zusammenzuhalten. Die Schafe grasten da, wo ihnen die Kräutlein am Besten schmeckten. Eben überall.

~Schön ist es hier, und einsam.~

Als Otto ankam, fand er eine skurrile Situation vor. In einer Notiz steht: „In den höher gelegenen Gebieten war wenig Gras vorhanden. Das hat sich im Verhalten der Schafe so ausgewirkt, dass sie sich in kleine Gruppen aufgeteilt haben und wo immer möglich einen Weg zu noch unberührtem Weideland gesucht wurde. So war zum Beispiel eine Gruppe von neun Schafen nachweislich durch die Flanke hinter dem Schientobel in die Horneralp gekommen, was das erste Mal so beobachtet werden konnte.“ Etc. etc. „Dieser Sommer war sicherlich außergewöhnlich in Sachen Hirtenschaft, aber auch wie oben erwähnt im Verhalten der Tiere. Auch darf man die acht Tage Schneewetter nicht vergessen.“ Um es kurz zu machen: Zu Ende der Saison fehlten sechs Tiere, die sich theoretisch auch fremden Herden angeschlossen haben könnten. Wenn man bedenkt, dass ein Schaf zwischen 400 und 700 Franken wert ist, tut das natürlich weh. Es steht aber auch: „Es gab keine Augenprobleme, keine Moderhinke, nur zwei Tiere mit Panaricium, keine Wurmprobleme und keine Räude.“

~Die Alphütte bei Ottos Ankunft.~

Otto Knöpfli hat mit seinen Hunden die Herde wieder zusammengetrieben. Die folgenden Tage waren aber trotzdem arbeitsreich, wie seine eng beschriebenen Tagebuchblätter zeigen. Immer wieder ist die Rede von „ausgebüxten“ Schafen, vom Zaunnetze reparieren, vom Augentröpfeln anfälliger Tiere. Vom schlechtem Wetter mit Hagel und Schnee. Vom Errichten der Nachtpferche für die Schafe. Auch von einer Wölfin mit acht Jungen, was außergewöhnlich ist. Otto beobachtet sie zum Einshorn hin. Vor ihrem Bau, im ihrem „Wohnzimmer“, wie er es nennt. Da die Hütte im Weidegebiet keinen elektrischen Strom hat, trägt er tagsüber ein Solarpanel auf seinem Rucksack. Für sein Mobiltelefon. Oft transportiert er auch Netze mit Pfählen. Die wiegen zusammen zusätzlich 40 Kg auf seinem Rucksack. Das ist ganz schön schwer in unwegsamem Gelände.

~Immer wieder ist Zaun reparieren angesagt.~

Wenn man das alles so liest, hört sich das nach Plackerei an. Ist es auch und nicht unbedingt eine romantische Schäferidylle. Aber schöne Momente gibt es natürlich. Es ist der klare Himmel nach einem Gewitter. Es ist die unbeschreiblich schöne Natur mit Ausblick. Es sind Momente der Zufriedenheit, wenn man ein verirrtes junges Lamm findet. Es ist einfach alles. In der nächsten Saison wird Otto wieder unterwegs sein. Wohin ihn das führt weiß er noch nicht.

~Otto Knöpfli mit seiner Lieblingshündin Joy.~