Dada wurde Hundert

August 11, 2016

Am 5. Februar 1916 eröffnete der deutsche Autor und Tausendsassa Hugo Ball mit seiner deutschen Freundin, Schriftstellerin und Kabarettistin, Emmy Hennings das Cabaret Voltaire in der Züricher Spielgasse 1. Beide waren, wie viele andere Künstler, vor der Situation des Ersten Weltkriegs nach Zürich emigriert. Zürich war damals eine Plattform, die internationalen Austausch gestattete. Lenin, zum Beispiel, residierte nur unweit der Spielgasse in einer Exilwohnung. Emmy sang im Voltaire Chansons und Hugo begleitete sie am Klavier. Bevor der Irrsinn begann war es also recht harmlos. Das sollte aber nicht so bleiben. Weitere Künstler wie der rumänische Dichter Tristan Tzara stießen dazu. Der deutsch-französische Maler, Bildhauer und Lyriker Hans Arp; der deutsche Erzähler, Dramatiker, Arzt und Psychoanalytiker Richard Huelsenbeck; der rumänisch-israelische Künstler, Schriftsteller und Architekt Marcel Janco folgten.

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~Hugo Balls Gedicht Karawane von 1917 in der Typografie der Erstveröffentlichung von 1920. Abb. lizenzfrei~

So, nun sollte ich eigentlich zerstörerischer und unverständlicher fortfahren. Der Dadaismus war eine Kunstbewegung, die die Gesellschaft ihrer Zeit, deren Wertesysteme und traditionelle Kunstformen ablehnte. Ein wichtiges Kampfmittel war zum Beispiel das Lautgedicht, eine Unsinnsansammlung, die mit der gewohnten Sprache nun gar nichts zu tun hatte. Deren Erfinder, wie könnte es anders sein, war Hugo Ball. Lautgedichte wurden kostümiert vorgetragen. Es gibt Fotos von Hugo Ball, wie er in einem kubistisch anmutenden Kostüm aus Pappe posiert. Hugo Ball war es auch, der am 14. Juli 1916 im Voltaire das erste dadaistische Manifest vorgelesen haben soll. Ich sage bewusst „soll“. Unbestritten hat er etwas vorgetragen, aber gleich ein Manifest? Einige Kunsthistoriker zweifeln. In der angesehenen Tageszeitung „NZZ“ ist von Magnus Wieland zu lesen: „Jedenfalls entspricht, was immer auch Hugo Ball am Abend des 14. Juli vorgetragen haben mag, nur bedingt dem, was heute als ,Eröffnungs-Manifest’ zirkuliert. Zumindest weicht der Wortlaut der in zahlreichen Anthologien noch heute abgedruckten Versionen mitunter erheblich vom Original-Manuskript ab, das im Nachlass des Autors überliefert ist. Bei dem im Schweizerischen Literaturarchiv aufbewahrten Dokument handelt es sich um zwei Typoskript-Seiten mit zum Teil schwer lesbaren handschriftlichen Ergänzungen und Korrekturen. Am linken Seitenrand ist von Hand vertikal der Titel ,Das erste dadaistische Manifest’ mit Bleistift hinzugefügt worden, was darauf schließen lässt, dass die Deklaration des Textes zum Manifest erst im Nachhinein erfolgte.“ Rums. Der ungesunde Dada-Menschenverstand sagt mir, dass die Dadaisten unmöglich so sorgsam vorgegangen sind, ein Eröffnungsmanifest vorzutragen. Obwohl es bei andern Kunstrichtungen so ist, wäre das nicht dadaistisch gewesen. Hugo Ball selbst bezeichnete das Vorgetragene als „Schwanengesang“, kurz bevor er den Zürcher Dadaisten den Rücken kehrte.

Hugo Ball

~Hugo Ball im kubistischen Pappkostüm. Pressebild Cabaret Voltaire~

Auch die Herkunft des Wortes „Dada“ für Dadaismus ist nebulös. Der deutsch-amerikanische Maler George Grosz, zeitweiliges Mitglied und Mitbegründer der Dada-Bewegung in Berlin, schrieb in seiner Autobiografie, dass Hugo Ball im Kreise einiger Künstler mit einem Messer in ein deutsch-französisches Wörterbuch stach und das Wort „Dada“ traf (französische Kindersprache für Stecken(Schaukel)pferd). Marcel Janco erklärte allerdings in einem Interview, die Geschichte mit dem Messer sei im Nachhinein erfunden worden, weil ein Märchen sich besser anhöre als die weniger poetische Wahrheit. Für wahrscheinlicher hielt er, dass ein in Zürich bekanntes Haarwaschmittel namens „DADA“ die Künstlergruppe zur Namensgebung anregte. Mir gefällt das. Die häufigste Annahme ist aber allgemein, dass das Wort der Kindersprache entnommen worden ist. Wie auch immer, die Dadaisten machen es einem nicht leicht. „Kubismus“ ist vom Wort her klarer (Schaffen einer Illusion, die Gegenstände räumlich und plastisch zeigt). Auch der Begriff „Futurismus“ (Zerstörung der Stofflichkeit durch Bewegung und Licht) ist klarer.

Wie auch immer. Seit jenem denkwürdigen Abend 1916 in Zürich war die Dada-Bewegung nicht aufzuhalten. Es gab Dada in New York, Berlin, Hannover, Köln, Dresden und Paris. Auch wenn von einigen Dadaisten ungeliebt, ist mir die zentrale Figur der Dadaisten in Hannover, Kurt Schwitters, besonders nahe. Auch Marcel Duchamp. Dada erobert alle Kunstrichtungen, von Text, Malerei, Theater, Fotografie etc. Zurück in Zürich: Im Cabaret Voltaire wurde das Jubiläumsjahr gebührend gefeiert. Unter anderem mit 165 sogenannten „Morgenandachten“ pünktlich ab 6.30 Uhr. Das Publikum goutierte viel Wissenswertes: Textlesungen, Rezitation von Lautgedichten, Vorträge von Vitas. Jetzt, nachdem der Spuk vorbei ist, lohnt das Cabare Voltaire immer noch einen Besuch. Es gibt ein frei zugängliches Café, einen Shop mit Kunstpostkarten und vielen Souvenirs. Gegen einen Obolus die Besichtigung der übrigen Räume mit Installationen und Videos. Performances von Mittwochabend bis Samstagabend und bisweilen Dada-Stadtführungen. Als ich da war brummte das Haus. www.cabaretvoltaire.ch

Haus

Hausinnere

Installation

~Das Cabaret Voltaire: Außen, innen, Installation im Keller~