Die 15th London Tattoo Convention findet im September 2019 auf dem Tobacco Dock in London E1W 2SF statt. Sie ist international und die außergewöhnlichsten Künstlern nehmen teil. Schon anfänglich schrieb einer der Veranstalter: „Wenn es in Europa eine Convention gibt, auf der man gewesen sein muss, dann kann es sich nur um London handeln. Sie ist schlicht weltweit der wichtigste Treffpunkt der Tattoowelt. Hier kommen nicht nur ein Großteil der besten Künstler des Globus zusammen, sondern die Meinungsführer und Macher der Szene stehen hier oft beim Bier an der Bar oder sitzen beim Inder zum späten Abendessen zusammen, um Klartext zu reden. Da werden kräftig Pläne geschmiedet, Projekte in Gang gesetzt und Entscheidungen getroffen, welche die Entwicklung der Tätowierung als solche auf Jahre hinaus beeinflussen werden.“ Wie rührend und romantisch beschrieben. Damit meine ich Bier und indische Lokale.

~Nützlich: Vectorgrafik als Vorlage.~

Was sich so überschwänglich anhört, ist wie gesagt eine vergangene Nachricht zur wohl wichtigsten Fach- und Publikumsveranstaltung von Tattoos und außerdem eine fremde Stimme aus der geheimnisvollen Welt der Punktierer, Färber und Künstler. Auch der Besessenen. Mich hat diese Szene immer fasziniert und sie rührt wohl eine der verborgenen Seiten in mir. Das hat nicht unbedingt mit Sisas tätowiertem Seepferdchen zu tun, das schwer zu finden ist, sondern vielmehr mit den fantastischen Bildkatalogen zu mannigfachen Motiven und wohl auch mit dem geheimnisvollen Ambiente der Tattooshops. Mit dem scheinbar Fremden oder Unbürgerlichen. Beim Versuch, Tattooläden zu fotografieren, wurde ich ein übers andere Mal rausgeschmissen; in Hamburg in Reeperbahnnähe und in New York in Chinatown. Da nun aber jeder Zweite ein Tattoo besitzt, im Nacken wie bei David Beckham, am Steissband wie bei Miss Arschgeweih, am ganzen Körper wie beim amerikanischen Motivationstrainer Brian Tracy, traute ich mich endlich auf das Beratungssofa einer Düsseldorfer Tätowierstube. Nicht um mich pieksen zu lassen, sondern um diese Menschen und ihre Kunst näher kennen zu lernen. Also wird dies zu einem allgemeinen Artikel meiner bescheidenen Tattoo-Kenntnisse. Übrigens: Ich würde mich selbst nie tätowieren lassen.

~Geheimnisvoll: Japanischer Nacken.~

Tattoos gab es schon immer und überall. Im Norden Chiles fanden Forscher eine 7.000 Jahre alte Mumie, die Tätowierungen an Händen und Füßen aufwies. Auch unser Ötzi wurde vor 5.000 Jahren tätowiert. Mit 47 Einzeltätowierungen aus Kohlestaub, der mit Nadeln in die Haut gebracht wurde. Geradezu legendär sind die großflächigen Tattoobilder der wilden Skythen, die ab dem 7. Jahrhundert v. Chr. in den Weiten der russischen Steppe lebten. Auch die sind auf Mumien gut erhalten. Ein eigener Beitrag gebührt der großen Kunst der Tattoos aus Mikronesien und Polynesien. Den hatte ich hier ja schon veröffentlich. Auch der aufregenden Ganzkörpertätowierungen der Ainu und Yakuza in Japan wede ich mir windmen. Später.Tätowierungen, die wohl ursprünglich rituelle Bedeutung hatten, sind also unabhängig voneinander auf der ganzen Welt entstanden.

~Mystisch: Kette mit Kreuz.~

In unseren Breiten waren Tattoos ursprünglich den Matrosen und Sträflingen vorbehalten, sagt man. Matrosen bedienten sich bei Albertus Cornelissen, der leider 2009 verstarb und mit seinem Sohn Ernst Günter Götz in Hamburg die „Älteste Tätowierstube Deutschlands“ betrieb. Aber auch Herbert Hoffmann behauptet, der älteste Tätowierer Deutschlands zu sein. Wahrscheinlich gibt es noch einige, auch der Hamburger Theodor Vetter, genannt Tattoo-Theo, die an ihrer Legende weben und das gehört wohl zur Szene. Bei Sträflingen sind die Meister meist anonym, dafür sind aber die Bedeutungen der Knast-Tattoos ziemlich bekannt. Es gibt eine regelrechte Kastenzugehörigkeit, die durch Hautzeichen klar wird: Darunter findet sich der „Schläger“, „Rowdy“, „Anführer“ oder „Boss“. Dann das „Kreuz der Diebe“. Auch Mörder und Lebenslängliche haben ihr eigenes Zeichen. Selbst sexuelle Vorlieben werden Kund getan und die Anzahl der abzusitzenden Jahre, in Form von tätowierten Holzscheiten unter einem Feuer oder Stacheln an einem Stacheldraht.

~Nekisch: Stubenreine Giraffe.~

Das ordinäre modische Tattoo ist so ordinär gar nicht. Abgesehen von fantasielosen und gängigen Motiven, die ähnlich wie Piercings dem reinen Körperschmuck dienen, gestalten Menschen ihre Haut zu einem Abbild ihres Denkens, Fühlens und Hoffens. Ihren Beschwörungen. Zu einer Chronologie ihrer Wandlungen. Matrosenliebchen und Herzchen sind out. Wunderbare Welten entstehen: Ganze Landschaften, Korallenbänke, Gebirge. Wundersame Kolibris und drohende Drachen. Sich windende Schlangen und aufgeregte Insekten. Ferne Tempel und idyllische Inseln. Japanische Schriftzüge. Und so kommt es, dass der Körper immer mehr zum Träger von prachtvollen Dekors und geheimnisvollen Zeichen wird. Stich für Stich. Farbtupfer für Farbtupfer. Bild für Bild.