Heimat

Oktober 17, 2016

Der Begriff „Heimat“ ist für mich ganz und gar nicht angestaubt. Abgesehen davon, dass jeder Mensch eine Identität braucht, ist Heimat mit wertvollen, manchmal auch klitzekleinen Erinnerungen verbunden. Es kann die wunderbare Landschaft sein; der Geruch von Staub auf der Straße, der von ersten Regentropfen angefeuchtet wird; das Geräusch von Tellerklappern in der guten Küche oder das Lärmen von Kindern. Heimat ist für mich immer mit glücklichen Erinnerungen verbunden. Aber vor allem finde ich Heimat bei in Begegnung mit Menschen, die erzählen.

Ich besuche jeden Samstag pünktlich um zehn Uhr morgens den Altherrenstammtisch im Restaurant „Frieden“ auf dem Schaffhauser Herrenacker. Da treffen sich Herren aus der Stadt und auch aus dem Klettgau. Es sind Politiker, Künstler, Geschäftsleute und normale Menschen wie ich. Es wird über die Heimat diskutiert, wie sie früher war und heute ist. Dass dabei auch über unwesentliche Kleinigkeiten gestritten wird, ist wohl normal. Dieser Stammtisch ist für mich wichtig. Ich war immerhin 40 Jahre in der grossen weiten Welt. Nun atme ich begierig ein, was ich eventuell verpasst habe. Jeder kann und soll etwas sagen, eine Meinung haben, dafür streiten. Etwa ob man für Steuererhöhungen ist oder Dörrbohnen über Nacht unbedingt einweichen muss. Ich beteilige mich mit angeborener Leidenschaft. Nur beim Erzählen von schlüpfrigen Witzen halte ich mich zurück. Das können andere besser.

Das Drehbuch für die Gespräche kann man nicht schreiben. Aber es gibt am Stamm regelrechte Spezialisten. Einer ist für alte Flurnamen zuständig. Einer für Frauen, respektive seine neuen Errungenschaften. Mehrere für vergangene oder aktuelle Restaurants oder Häuser. Einer wettert regelmäßig über Kunst. Ihm machen aber auch die Reben Sorge, obwohl er meist Bier trinkt. Natürlich wird auch aktuell politisiert und dann wird es meist sehr laut. So laut, dass der Stammtisch der Revoluzzer vom Nachbarraum hereinschaut. Ja, diese gibt es auch. Es sind Herrschaften, die vielleicht die SP wählen, ergänzt mit dem Pfeffer von Intellektuellen. Dieser zweite Stammtisch wär interessant, meiner ist mir aber lieber. Denn bei uns gibt es alle politischen Schattierungen und man redet meist privater.

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~Der Stammtisch im Frieden: Im Sommer im Garten. Im Winter in der Weinstube.~

Der Stammtisch ist übrigens legendär, denn er war bis vor einiger Zeit in der Weinstube „Tanne“ beheimatet. Kurioserweise wurde die gute Stube von dem leider dahingeschiedenen Fräulein Zimmermann nur am Samstag für anderthalb Stunden für uns geöffnet. Ansonsten waren die Läden vor den kostbar verzierten Fensterscheiben zu. Eines muss ich noch loswerden. Nach meiner Frage nach ihrem legendär zubereiteten Kalbskopf sagte Fräulein Zimmermann einmal: „Gang ussä uf d´Schissi und lueg in Spiegel, dänn gsehsch eine.“ So war sie, das Fräulein Zimmermann. Ich vermisse ihren Witz sehr. Apropos Kalbskopf: Pünktlich um Zwölf verschwinden die Herrschaften zu Mutter, um sich den Bauch vollzuschlagen. Reden macht hungrig.

~Hans Ormund Bringolf: Ein Offizier und Abenteurer wie er leibt und lebte~

Der Kulturverein Hallau hat sich im Rahmen der „erzählzeit ohne grenzen“ am letzten Donnerstag im Weinmuseum Hallau um Hans Bringolf verdient gemacht. Der Medienmann und Historiker Stephan Lütolf führte auf amüsante Weise durch das Leben des Leutnant Bringolf und die Medienfrau Mona Vetsch las aus gut recherchierten Archivaufzeichnungen und dem Buch „Der Lebensroman des Leutnant Bringolf sel.“. Den Roman über sein Leben hat Hans Bringolf höchstpersönlich 1927 im Bürgerheim Hallau geschrieben. Da mich Hans Bringolf als bunter Paradiesvogel schon länger interessiert, war ich natürlich im Auditorium.

~Die Bergkirche inmitten der schönen Weinberge von Hallau: Die letzte Ruhestätte von Bringolf~

Wie kommt es, dass ich hier über einen längst Verstorbenen schreibe, der zudem ein Hasardeur, Scheckbetrüger, Hochstapler und windiger Weltenbummler war? Dieser Hans Ormund Bringolf war aber auch studiert, charmant und draufgängerisch. Er war Offizier und Diplomat in schweizerischen Diensten und wohl ein Frauenheld. Er ist das perfekte Abbild eines Menschen, der die höchsten Höhen und Tiefen erlebt hat. Sein Leben war Welttheater schlechthin. Also ist er interessant.

~Das Grab im Westen des Friedhofs: Schöne Aussicht auf das ungeliebte Hallau~

1876 wird er im mondänen Kurort Baden-Baden geboren. Von einem reichen Kavallerie-Oberst und Unternehmer der Schweiz gezeugt und von einer viel zu jungen russischen Mutter empfangen, mischen sich sein Blut und seine Gene zu einem gefährlichen Cocktail. Seinem Elternhaus in Schaffhausen, das eine zänkerische Schlangengrube war, entflieht er zur Reifeprüfung nach Neuenburg. Danach studiert er in Heidelberg, Innsbruck, Wien, Rom und Berlin. Studiert wurde damals selten. Vielmehr wurde in Studentenverbindungen gezecht, gerauft und angegeben. Hans Bringolf entwickelt früh seinen Hang zur Verschwendungssucht und Angeberei. Er verprasst das Erbe seines Vaters, der sein erster Freund, aber auch Kritiker war. Seine schlichte Dissertation von 38 Seiten zum Dr. jur. verfasste er 1899 mit Hilfe eines bezahlten Einpaukers. Aber sein Herz gehörte schon früh dem Militär. Er unterbricht sein Studium immer wieder durch Militärdienste und Truppenübungen in der Schweiz. Aus dieser Zeit stammt auch sein Spitzname „Leutnant Bringolf selig“. Als Kavallerist ritt er so ungestüm drauflos, dass er ein übers andere Mal vermisst wurde. Schnell wird er Militärattaché in schweizerischen Diensten; in Berlin, Paris und Wien. Er gibt rauschende Bankette mit Goldplättchen als Suppeneinlage und füttert seine Hunde mit feinsten Beefsteaks.

~Hans Bringolf: Militärattaché, Großer Legionär in drei Erdteilen, Schriftsteller~

Um der Nachstellung seiner Gläubiger zu entkommen, heiratet er Alice Honegger, die Tochter eines reichen, angesehenen Industriellen. Wegen Scheckbetrugs als Militärattaché entlassen, gibt er sich nun nicht mehr als Sohn des Oberst Bringolf aus Hallau aus, sondern als illegitimer Spross eines russischen Prinzen. Als der Schwindel auffliegt, strafen ihn seine Frau mit Tränen und der reiche Honegger mit kalter Missachtung. Nun beginnt eine Irrfahrt Bringolfs unter falschem Namen als angeblicher Armeeinstruktor, Bahninspektor oder Silberminenbesitzer in Mittel- und Nordamerika. Zechprellend bleibt er seinem Lebensmotto treu, mehr sein zu sein als er ist. Er tritt in die amerikanische Armee ein und kommandiert von 1906 bis 1908 ein US-Polizeitrupp-Kontingent auf den Philippinen. Seine Husarenart ist jedoch nicht lange gefragt. Sein unruhiger Geist führt Hans Bringolf nun über drei Kontinente bis nach Südamerika. Da gibt es Revolutionen zuhauf. Er wird aber nicht Soldat, sondern etabliert sich mit gefälschten Papieren als „Legationsrat des Eidgenössischen Politischen Departements“. In Lima wird er inhaftiert. Zurück in Europa, nimmt er in Heidelberg als „Baron von Tscharner“ und „Alter Herr des Korps Guestphalia“ etliche Hotelbesitzer und Kommilitonen aus. Schon wieder sitzt er im Gefängnis. Nach Beginn des Ersten Weltkriegs wird er Offizier in einem Marschregiment der französischen Fremdenlegion. Als „Löwe von Monastir“ erlangt er tollkühn besondere Berühmtheit. 1923 erhält er das Kreuz der Ehrenlegion. Nun glaubt er, die Schande seiner Jugend durch Blut und Tapferkeit ausgewischt zu haben. In zivilen Berufen ist er danach engagiert, aber letztlich erfolglos. Die Skandale der Vergangenheit holen in immer wieder ein. 1951 stirbt er im Bürgerheim Hallau. Er besitzt nach Abrechnung des Hallauer Waisenamtes ein Reinvermögen von Fr. 2,75. Und eine Kartonschachtel mit Orden und Tapferkeitsmedaillen.

~Wie in Golgatha: Ein deutsches Kriegsopfer links~

~Wie in Golgatha: Ein unbekannter Soldat rechts~

Jahrmarkt im Herbst

Dezember 18, 2011

Jedes Jahr findet in Steckborn, wie in vielen kleineren und größeren Städtchen und Dörfern nicht nur der Schweiz, der Jahrmarkt statt. Es ist ein Ereignis höchster Wichtigkeit und nicht zu verwechseln mit dem Weihnachtsmarkt. Der findet in Steckborn auch statt. Nur später. Jahrmärkte gibt es seit dem Mittelalter und das Recht, einen Jahrmarkt abzuhalten, wurde früher von ordinären Landesherren, Grafen, Königen oder sogar Kaisern verliehen. Steckborn muss früh das Marktrecht besessen haben, denn schon 1313 erhielt das Örtchen am Untersee das Stadtrecht. Zu den mehrtägigen Jahrmärkten trieben früher die Bauern das Vieh in den Ort, um es zu verkaufen. Gewerke aller Art boten ihre Dienste oder Erzeugnisse an: Schmiede, Töpfer, Schreiner, Korbflechter, Tuchhändler etc. und wohl auch Kurtisanen. Ob es die in Steckborn gegeben hat, weiß ich nicht. Aber schon beim Konzil von Kostanz versüßten gerüchteweise über 1.000 leichtfröhliche Mädchen das Leben der Besucher. Und Konstanz liegt in der Gegend von Steckborn und das war 1414 bis 1418. Wie dem auch sei, lustig war es in Steckborn sicherlich. Vermutlich gab es auch zahlreiche Exponenten des Fahrenden Volkes: Gaukler, Wahrsager, Quacksalber, Musikanten und vielleicht sogar Bärenführer. Schaurig schön. Uaaaah. Die Historiker unter Ihnen mahne ich zur Vorsicht: Vieles hier ist nicht verbürgt, zumindest was Steckborn anbelangt. Aber interessant war es.

~Das gute alte Kettenkarussell: Fliegen am Untersee~

Meine ersten Erinnerungen an den Jahrmarkt zu Steckborn sind nicht weniger aufregend. Es roch die Seestrasse hinauf und hinunter nach gebratenen Maronen, Zuckerwatte, gebrannten Mandeln und den aus Kartons geholten alten Kleider. Das alles gibt es immer noch, nur dass die Kleider nun nach Fernost riechen. Es gab im Hof des Restaurants Schwanen eine Tombola, auf der ich mal ein Huhn gewonnen habe. Es lebte im Garten bei den Nachbarn, legte keine Eier und als es im hohen Alter gestorben ist, taugte es noch nicht mal für die Suppe. Ich hoffe, diese Bemerkung wird aus dem Hühnerhimmel nun nicht so zickig kommentiert. – Sorry Berta – . Karussells und die Autoscooterbahn gab es natürlich auch. Das Rädchen mit den an Ketten hängenden Sitzen hat mich allerdings nie interessiert. Ich wollte früh erwachsen werden. Aber dem Autoscooter gehörte meine Leidenschaft. Schmierig tönte es aus dem Lautsprecher: „Einsteigen zur nächsten Fahrt bitte“. Dann galt es, das Gefährt mit dem schönsten Fähnchen an der Stromabnehmerstange zu erhaschen und wenn man Glück hatte, stieg die Angebetete mit ein. Lässig kurvte man herum und bei jedem Zusammenstoß gab es den einen oder andern frühpubertären Körperkontakt. Und blaue Flecken natürlich, die man abends in glücklicher Erinnerung liebevoll pflegte.

Es hat mich sehr beruhigt, dass es auch heute immer noch den Autoscooter gibt, die Zuckerwatte, die Maronen, die gebrannten Mandeln und den Austausch mit Bekannten beim Bummel durch die Seestrasse. Auch die Bratwürste und gebratenen Servelats gibt es erfreulicherweise noch. Richtig interessant wird es aber anschließend im Restaurant Anker in einer Seitengasse zur Seestrasse. Da kann man die durchgefrorenen Füße aufwärmen und das eine oder andere gepflegte Gespräch führen. Mit dem letzten Berufsfischer aus Steckborn, dem Stadtammann, den kulturell Tätigen und den netten Damen der Gesellschaft.

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~Impressionen vom Jahrmarkt zu Steckborn~

Von Sägemehl und Schweiß

September 11, 2011

Zum kantonalen Jubiläumsschwingfest Schaffhausen:

Der traditionelle Volkssport allgemein gehört in der Schweiz zu den sonderbarsten Dingen. Nicht Fußball ist es, nicht Alpinsport, nicht Tennis. Das wäre zu normal. Wobei wir bei der letztgenannten Disziplin ja wahrlich einen Experten haben. Das nebenbei. Nein, die wahren Volksportarten in der Schweiz sind Schwingen, Hornussen und Steinstossen. Beim Steinstossen wird der 83,5 kg schwere Unspunnenstein über eine möglichst große Distanz gestoßen und die Wettkämpfer erinnern an Obelix. Beim Hornussen, das ein Mannschaftssport wie Cricket ist, wird die Nouss soweit wie möglich in das gegnerische Spielfeld getrieben. Mittels überdimensional großen Schlägern, die wie Bratkellen aussehen. Komischerweise nennen die Südafrikaner das Hornussen Swiss Golf. Und Golf hat mit braten nun wirklich nichts zu tun. Aber verstehe einer die Südafrikaner. Am populärsten ist aber ohne Zweifel das Schwingen, eine Art Ringkampf, das auf einer kreisrunden Sägemehlfläche ausgetragen wird.

~Kraftvoll wird beim Schwingen die gegnerische Hose gepackt ~

Dem Schwingen wird vor allem im Deutschschweizer Voralpengebiet gefrönt und die Entstehungsgeschichte des Hoselupfs ist nicht eindeutig zu bestimmen. Ein Schub zum Volkssport brachte das Alphirtenfest zu Unspunnen 1805. Unter der napoleonischen Fremdherrschaft wurde damals durch das Schwingen das schweizerische Selbstwertgefühl gehoben. In Ausscheidungswettkämpfen treten jeweils zwei Schwinger gegeneinander an. Sie tragen über der Kleidung aus Jute gearbeitete kurze Hosen, die durchaus sexy sind. Die gegnerische Hose dient zum Festhalten für den Angriff. Man versucht den Gegner durch das Anbringen von „Schwüngen“ auf den Rücken zu zwingen. Das Schwingen kennt verschiedene Hauptschwünge, die Namen wie „Kurz“, „Übersprung“, „Brienzer“, „Hüfter“, „Buur“ oder „Wyberhaagge“ tragen. Der Sieg ist gültig, falls der überlegene Schwinger den Unterlegenen mit mindestens einer Hand an der Schwinghose festhält und der Unterlegene den Boden mit beiden Schulterblättern oder mindestens zwei Dritteln des Rückens berührt. Nach dem Ende des Kampfes wischt traditionsgemäß der Sieger dem Verlierer die Sägemehlspäne vom Rücken. Und wehe, das vergisst einer. Geht eine Runde unentschieden aus, so ist der Kampf „gestellt“. Apropos „Wyberhaagge“: Seit einiger Zeit gibt es auch das „Wyberschwingets“, das Frauenschwingen. Jetzt wissen Sie auch, was ich oben mit „sexy“ meinte. Bei allen Vorurteilen sind die Damen auf Sägemehl äußerst talentiert und es tut ganz gut, wenn auch die Frauen einmal die Hosen anhaben.

~Der Hauptpreis war früher ein Stier, heute ist es meist eine trächtige Kuh. Diesmal war es aber das Rindviech „Joyce“~

Ich hatte am kantonalen Jubiläumsschwingfest Schaffhausen dank Presseausweis die Möglichkeit, ganz vorne mit dabei zu sein und den angefragten Artikel  konnte ich pünktlich abliefern. Dies hier ist leider eine verspätete Nachbetrachtung. Aber besser zu spät als nie. Gewonnen hat nicht einer der Favoriten, sonder der Appenzeller Michael Bless. Stolz durfte er den Hauptpreis, das schöne Rindviech „Joyce“, kraulen. Da passt es gut, dass Michael Metzger ist. Ich konnte die argwöhnischen jungen Helfer vom FC Schaffhausen aber beruhigen. Das gute Tier wird nicht geschlachtet.

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~Impressionen der Veranstaltung~

Alljährlich am 1. August wird landauf und landab von den Eidgenossen die Gründung der Confoederatio Helvetica kräftig gefeiert. So dieses Jahr auch auf dem Hohberg nordöstlich von Schaffhausen, das selbst nur 403 m ü. M liegt. Der Berg ist nur unwesentlich höher. Das tat der guten Laune beim Fest aber keinen Abbruch. Es gab ein Höhenfeuer, ein Feuerwerk und Alphornklänge. Natürlich auch Bratwürste, kräftige Landweine und Limo für die Kinder. Bevor ich zu meinem eigentlichen Thema komme, kurz eine Erklärung, was ein Höhenfeuer ist. Die Höhenfeuer haben in der Schweiz eine lange Tradition. Sie dienten früher unter anderem dazu, die Bevölkerung vor Gefahren zu warnen. Laut einer Legende hatten die Höhenfeuer manchmal auch eine abschreckende Wirkung: So sollen barbarische Eindringlinge den Rückzug angetreten haben, nachdem sie die im Genfer- und Bielersee reflektierenden Höhenfeuer gesehen hatten, und dachten, sie seien am Ende der Welt angelangt und würden nun direkt in den Himmel reiten. Ich kenne die Höhenfeuer des 1. Augusts vor allem aus dem Berner Oberland. Da liegen die Berge wesentlich höher als im Kanton Schaffhausen. Und es ist schon imposant, wie von fleißigen Helfern stapelweise Holz auf die Dreitausender getragen wird, nur um es zu verbrennen. Aber da kennen die Schweizer nix. Es ist Tradition.

~Schweizerfahne im Hof des Staatsarchivs Schaffhausen~

Nun zum Thema: Tradition hat natürlich auch mit Heimatverbundenheit zu tun. Für mich ist der Begriff „Heimat“ gar nicht so schrecklich. Auch wenn mich das Getue darum herum ab und zu belustig. Die Reden, die am 1. August von Politikern in der Schweiz gehalten werden, schöpfen aus dem Heimatgefühl. Die Bayern sagen ja auch „mia san mia“. Anderorts ist es noch schlimmer. Aber köstlich ist es, wenn zum Beispiel in Meiringen im Berner Oberland die ausländischen Touristen in zwölf Sprachen über den Sinn der Schweiz aufgeklärt werden. Und die Höhenfeuer bei Regen zucken und die Touristen auch. Den Japanern gefällt´s. Und den Amerikanern auch. Ich habe als Quasi-Weltbürger natürlich ein distanziertes Verhältnis zu der Wohlgefälligkeit meiner Landsleute. Aber auch „heimelige“ Erinnerungen an meine Kindheit. Ich bin froh, dass ich eine Heimat habe und bekenne mich bei aller Kritik zu ihr.

~Ein letztjähriger Regenschirm vom Hohberg~

Nun wieder zum Anfang: Im letzten Jahr hat es auf dem Hohberg geregnet und ich sah außer den Schirmen im Regen nichts. Am Liebsten hätte ich laut zu dem Auditorium gerufen: „Eidgenossen, ich will euch eine Gasse bahnen, sorget für mein Weib und meine Kinder!“, wie weiland der tapfere Winkelried, als er sich in der Schlacht bei Sempach in die Speere der habsburgischen Söldner warf. Dann hätten die anwesenden tapferen Eidgenossen mitsamt den 26,5 Prozent ausländischen Anwohner durch die Regenschirme zur Bühne vorstürmen können. Auch die Rede habe ich im letzten Jahr nicht verstanden. Akustisch und inhaltlich. Das machte aber nichts. Irgendwie war das Gefühl bei dem ganzen Unsinn nicht schlecht. Dieses Jahr hat es auf dem Hohberg übrigens nicht geregnet.

Fasnacht Schaffhausen

März 7, 2011

Aufgeklärte Leserinnen und Leser wissen ja, dass die Fasnacht so etwas wie der Karneval ist und im alemannischen Sprachraum etwas früher als der rheinische Karneval stattfindet. Schlunzig wie die Schweizer sind, haben sie sogar das „t“ bei Fastnacht vergessen. Obwohl das Wort vom althochdeutschen „fasta“ und „naht“, also Fastenzeit und Nacht herkommt, wird keineswegs gefastet, sondern auch nächtens davor ordentlich gefeiert. Dies beginnt schon mit dem „schmutzigä Dunschtig“, der keineswegs schmutzig ist, sondern dessen Wortschöpfung mit dem alemannischen „Schmotz“ und dem allgemeinverständlichen Wort „Donnerstag“ zu tun hat. Schmotz heißt Fett oder Schmalz und damit wird auf die köstlichen und dünn in heißem Fett ausgebackenen „Fasnachtschüechli“ hingewiesen. Diese tellergroßen Gebilde legte meine Mutter zum Ausruhen immer mit Puderzucker bestäubt in einen weidenen Wäschekorb. Schichtweise zu Fünft und mit properen Küchentüchern dazwischen. Wehe, es vergriff sich einer vor Donnerstag daran, dann wurde es schmutzig oder kritisch. Wirklich kritisch. Sie werden später sehen, dass es noch andere Köstlichkeiten zu Fasnacht gibt. Aber kommen wir erst zum Umzug.

~Aber hallo: Der Zug kommt~

~Luftschlangen: Wie gemalt~

Dieser begann dies Jahr in Schaffhausen Punkt drei Uhr mittags im Mosergarten und die dreißig Wagen nebst Guggemusig und Kapellen der örtlichen Schützenvereine zogen die Vorstadt hoch zum Fronwagplatz und dann in die Vorstadt. Da Sie sich unmöglich für den Schaffhauser Stadtplan interessieren werden, zumindest eine Erklärung zur Guggemusig, die anderorts auch mit „k“ am Ende geschrieben wird. Diese Katzenmusik wird vor allem von Blech und Rhythmus dominiert und klingt ziemlich schräge. Feingeister haben da nichts zu suchen und man muss schon froh sein, dass keine Kuhglocken wie in der Innerschweiz mit im Spiel sind. „Gugge“ steht übrigens für so ziemlich jede Art von Blechblasinstrumenten. Die Einstürzenden Neubauten hätten ihre helle Freude daran.

~Kostüme: Der letzte und einzige Cowboy~

Natürlich war der Schaffhausener Zug eine Miniausgabe vom Zoch etwa in Düsseldorf. Und meine Tamayo, wie 2008 hier beschrieben, war auch nicht dabei. Die dreißig Wagen und Wägelchen stellten ein Nix zu den gefühlten siebzig in der Rheinmetropole dar. Aber schön war es allemal. Und irgendwie hat mich alles an meine Kindheit erinnert. Damals. Als ich stolz wie Oskar als Heuschrecke, Menschenfresser oder Pharao Tutenchamun auftrat. Dafür gab es im Minizug aber Erdmonster, Geister und Prinzessinnen. Luftschlangen und Konfettiregen en masse. Und etwas an Karikaturen zu Lokalthemen. Die Weltpolitik wurde diesmal ausgelassen. Einen zu Guttenberg hätte man so schnell aus Pappmaché auch nicht herstellen können. Und einen Louis van Gaal auch nicht. „Ich habe einen Körper wie ein Gott. Die Lederhose passt mir und ich habe auch einen Bauch.“ Man sah köstlich verkleidete Knirpse und Elfchen am Straßenrand. Auch und natürlich von den Secondos. Den Zuwanderern in zweiter Generation. En vogue waren gerade Prinzessinnen und Klonkrieger. Die Prinzessinnen stolperten teilweise über ihre Röcke, weil die Kostüme wohl schon fürs nächste Jahr geschneidert wurden. Und die Krieger aus dam All erkannten weder Freund noch Feind, weil die Masken zu groß waren. Das tat aber dem allgemeinen Vergnügen keinen Abbruch.

~Magäbrot: Im Nullkommanix setzten Magenkrämpfe ein~

~Fasnachtschüechli: Beinahe wie von Muttern~

Nun zu den kulinarischen Köstlichkeiten, die typisch für die Schweizer Fasnacht sind. Ich sage nur: „Zuckerwattä“. Die Zuckerwatte, auch gesponnener Zucker genannt, wurde vom amerikanischen Zahnarzt William Morrison und vom Konditor John C. Wharton 1897 erfunden und erfreut hierzulande schon Generationen von Freunden der Klebrigkeit. Dabei wird in einer Zentrifuge Zucker erhitzt und erstarrt um einen Stab zu Fäden, die in ihrer Gesamtheit wie Watte aussehen. Dann gibt es „Magäbrot“. Das Brot, das angeblich gut für den Magen sein soll, ist ein süßes Gebäckstück, das Gewürznelken, Zimt, Sternanis und Muskatblüten enthält. Meine Fresse, wie gerne ich das mag. Schon weil es, gierig gegessen, im Nullkommanix Magenkrämpfe erzeugt. Garantiert. Seltener zu sehen ist mittlerweile das „Süessholz“. Mit Süßholz sind die Wurzelstücke des subtropischen Süßholzbaumes gemeint, die auch noch Heilwirkung haben. Diese werden ordentlich mit den Zähnen und der Zunge bearbeitet, um an das Aroma zu kommen, das an Lakritze erinnert. Den faserigen Rest der Kauerei spuckt man auf die Straße oder steckt sie dem Opa in die Tasche. Schlussendlich gibt es natürlich „Schoggifrücht“. Da wissen Sie bestimmt, wovon die Rede ist und ich kann mir eine Beschreibung ersparen. Und die oben erwähnten „Fasnachtschüechli“ natürlich. Sonst noch was? Nein? Dann gehe ich jetzt ein Bier in der Kerze trinken. Alkoholfrei, wie sich das nach den Festivitäten gehört.

~Süßholz: Kauen und spucken~

 

Um danach gleich zu der fabelhaften Einrichtung des Stadtarchivs Schaffhausen zu kommen erst einige Anmerkungen vorweg. In grauer Vorzeit, im zarten Alter von 18 Jahren, lebte ich schon einmal in Schaffhausen. Danach reiste ich durch die Welt: nach Genf, Paris, Frankfurt und Düsseldorf. Längere beruflich bedingte Besuche von Südamerika, Mittelamerika, den Vereinigten Staaten, Frankreich, Italien und Spanien kamen dazu. Ach, beinahe hätte ich Südafrika vergessen. Nun sitze ich wieder gemütlich in dem schönen Städtchen Schaffhausen, das in meiner Pubertät die Welt war, bevor ich einen kleinen Teil der Welt kennenlernte. Mein Aufenthalt in Schaffhausen, der etwas länger andauern wird, ist aber anders geprägt als damals. Von Neugierde gepackt will ich einfach alles besser verstehen. Wie war Schaffhausen im Jahre 1045, als die Stadt am Rheinfall das Münzrecht verliehen bekommen hat? Wie kam es zu der Gründung des Kloster Allerheiligen? Welche Architekten wirkten im Laufe der Zeit zwischen den Stadtmauern? Welche Familienzweige gelangten zu ersprießlicher Bedeutung? Wer erbaute die Rhybadi und warum? Letztendlich: Wie sah das Haus ganz früher aus, indem ich bei meinem ersten Aufenthalt wohnte?

Um alledem und mehr auf die Spur zu kommen gibt es das Stadtarchiv Schaffhausen. Und für den, der immer noch nicht genug hat, gibt es zudem das Staatsarchiv. Doch davon ein anderes Mal. Das Stadtarchiv Schaffhausen schreibt ganz programmatisch in seine Broschüre: „Sammeln“. „Bewahren“. Erschliessen“. „Vermitteln“. Aha.

Kommen wir doch gleich zur Rhybadi, über die ich einen Artikel geschrieben habe. Nach all den nützlichen und verteilten Informationen, die ich im Internet gefunden habe, wollte ich natürlich wissen, wie die Rhybadi ganz früher aussah. Oder gar bei Hochwasser. Da gibt es auf der Website des Stadtarchivs einen Link. Gleich auf der Startseite: „Bilder zur Geschichte“. Das ist doch selbsterklärend? Oder? Anklicken und schon heißt Sie die Bilddatenbank mit historischen Fotos willkommen. Da Sie als aufgeklärter Mensch wissen, dass sich die Rhybadi an der Rheinuferstrasse befindet, gehen Sie unter „Strassen von A-Z“ auf diese und schon erschließt sich ein reichhaltiger Fundus. Natürlich finden Sie die Rhybadi, das Rheinbad, auch unter „Sport- und Spielanlagen“. Oder unter „Gewässer > Rhein > Hochwasser – Niederwasser“, wenn Sie nur am Hochwasser in der Rhybadi interessiert sind. Oder Sie wollen wissen, was der rührige Fotograf Rolf Wessendorf neben seinen schönen Fotos des Restaurant „Tanne“ sonst noch gemacht hat? Einfach die Suchfunktion unter „Bilder zur Geschichte“ nutzen.

Interessant sind die Seiten zu „Bürgerwappen“ oder „Häusernamen“. Oder „Albert Einstein“. Ja, der Mister E = mc2, der auch einige Zeit in Schaffhausen verbracht hat. Detektivarbeit können Sie machen, wenn Sie etwa über Dokumente von alten Stadtrechnungen oder Volksabstimmungen Zusammenhänge rekonstruieren wollen. Oder auf die „Genealogie-Seiten“ gehen. Da wird das Stadtarchiv zu einer ungeahnten Fundgrube. Sollte mal ein Schriftsteller einen historischen Kriminalroman, der in Schaffhausen spielt, schreiben, käme er an der Authentizität des Stadtarchivs nicht vorbei. Oder einen historischen Politthriller oder einen Liebesroman. Gute Schriftstellerei ist immer noch Spurensuche.

Nun haben die fleißigen Leutchen des Stadtarchivs eine Unmenge Arbeit in das Bereitstellen der Daten im Web gesteckt. Diese sind aber auch dem Interessierten, der mit Computerarbeit nichts am Hut hat, zugänglich. Im Leseraum. Dort bemühen sich nette Mitarbeiterinnen des Archivs mit Rat und Tat um die Kundschaft. Als ich dort war, verbrachte eine distinguierte ältere Dame eine vergnügliche Zeit am Lesegerät. Vieles ist auf Mikrofilm und zunehmend auch als digitale Kopie gesichert. Es gibt aber auch einen großen Tisch und die gewünschte Lektüre wird in Natura bereitgestellt. Renner sind immer wieder die genealogischen Register mit den Ahnenreihen Altschaffhauser Geschlechter. Die von J. L. Bartenschlager und H. W. Harder zusammengestellten Bände zählen zu den Kostbarkeiten der Bestände. Man bekommt sie aus begreiflichen Gründen allerdings nur in Kopie in die Finger. Wichtige Dokumente, vor allem aus der Historie der Stadt, werden in einem eigens errichteten und gut gesicherten Kulturgüter-Schutzraum mit einem Fassungsvermögen von 500 Laufmetern aufbewahrt. Insgesamt nimmt die Gesamtmenge der Archivalien zirka zwei Regalkilometer in Anspruch. Bilder, Karten und Pläne, die besondere Anforderungen an die Aufbewahrung und Erhaltung stellen, nicht mitgerechnet.

Wollen Sie also mal im Bildarchiv mit über 150.000 Fotografien schwelgen, sich durch die zahlreichen Firmen- und Privatarchive wühlen oder sich einfach nur einen ersten Überblick im normalen Bestand machen, sind Sie im Stadtarchiv Schaffhausen am Fronwagplatz oder auf der Website des Stadtarchivs genau richtig.

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~Spurensuche im Stadtarchiv Schaffhausen~

Die Kapelle am Wegesrand

September 9, 2010

Es war wie wenn viele Jahre einfach nichts gewesen wäre. Ich kam in die Musikkneipe Kerze und wollte eigentlich nur die Inneneinrichtung fotografieren. In diesem Haus an der Stadthausgasse 17, gegenüber vom Stadthaus, war früher erdgeschoßig eine Metzgerei und oben ein Restaurant mit einer Art Speisesaal. Holzgetäfert, wie sich das damals gehörte. Die Holzverkleidung gibt es immer noch, auf der Beletage. Schön patiniert wie früher im Malatesta in Zürich. Oder in der Bodega Española, ebenfalls in Zürich. Da, wo Lenin 1916 in der Schweizer Emigration seine Tageszeitungen gelesen hatte.

Unweit von der Kerze hatte ich früher kurzzeitig gekellnert. In der Musikkneipe Domino. Und da dröhnte immer „Sunshine Superman“ von Donovan aus der Jukebox. In der Kerze hatte ich jetzt ein Déjà-vu. Oder auch keins. Die Zeit hat sich einfach gut konserviert. Es war heutige Realität. Schon beim Eintreten hörte ich, Sie werden es erraten, Donovan:

„Sunshine came softly through my a-window today
Could’ve tripped out easy a-but I’ve a-changed my ways
It’ll take time, I know it but in a while
You’re gonna be mine, I know it, we’ll do it in style
‚Cause I made my mind up you’re going to be mine“

Der Wirt der Kerze, Rolf Könitzer, kommt aus einem fabelhaften Stadtviertel Berns, der Matte. Dieses Quartier liegt im Gegensatz zu den eher bürgerlichen Vierteln Berns, die sich auf einem Hügel befinden, direkt am Flussufer der Aare. Die Mätteler entwickelten übrigens in ihrer Subkultur eine Art Geheimsprache, das „Matteänglisch“. Dies ist so interessant, dass ich dieses seltsam Wunderbare hier nicht weiter ausführen will und es in einem späteren Artikel, der schon lange in meinem Wunschheft steht, beschreiben werde. Rolf Könitzer winkte ab, als ich ihn nach dieser Sprachbesonderheit fragte. Könitzer spricht reines Berndeutsch und vielleicht etwas die Sprache der Beatniks. Rolf Könitzer hat ein bewegtes Leben hinter sich. Er war Musiker, dann Musiker und Animateur, dann Wirt im Domino. Und jetzt in der Kerze. Eine folgerichtige Karriere.

Da die Kerze eine Musikkneipe ist, und kein Restaurant wie es in vielen Reiseführern steht, geht es also hauptsächlich um Musik in diesem heiligen Raum. Musik von Blues über Punk bis zu heimischen Liedermachern. Ach so, den Zigeunerjazz hätte ich beinahe vergessen. Django Reinhardt-mäßig. Der Hot Club de France in dem Städtchen am Rhein. Beinahe. Neben unregelmäßiger Livemusik schmeichelt immerzu ein angenehmer Sound durch den Raum. Rolf Könitzer hat Geschmack. Hiphop und Techno kommt nie vor. Dafür sind die Wände bedeckt mit allerlei Seltsamem: signierte Gitarren, gespannte Trommelfelle mit Widmungen, weitere Musikinstrumente und sogar eine Geige. Sie gehörte ehemals einem Zeichner, der sämtliche Globibücher illustrierte. Also schön illuster das Ganze.

Die Kundschaft kommt schon bald nach 16:00 Uhr und die meisten erhalten ungefragt eine Flasche Bier auf den Tisch gestellt. Die Damen verzichten dabei meist auf das Glas. Emanzipiert ist man. Unter den Pretiosen aus der wilden Zeit wird diskutiert und ich habe niemand gesehen, der unverbesserlich nostalgisch wäre. Ganz im Gegenteil.

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~Pretiosen aus der wilden Zeit~

Die Rhybadi? Sie ist nicht zu übersehen. Denn sie liegt an der Rheinuferstrasse, der E 54. Über die fahren Sie, wenn Sie von der Brücke der Zürcherstrasse stadteinwärts links abbiegen oder als Transitpassagier von Deutschland Richtung Rhein fahren und am selbigen dann rechts abbiegen. Die Rhybadi, wohlgemerkt die Schaffhausener, liegt zwischen dem Stadtkern nebst besagter Straße und dem schönen Rhein. Haarscharf zwischen beiden. Das ist so, auch wenn mir das nicht unbedingt gefällt. Die Verkehrsplanung hat sich offensichtlich nicht anders zu helfen gewusst. Aus der Luft betrachtet, etwa mit Google-Earth oder aus dem eigenen Sportflugzeug, sieht die Badi aus wie ein riesiger Kahn aus Holz, der zufällig am Ufer vertäut wurde. Das zugespitzte obere Ende tut das Seine dazu. Nur scheint das merkwürdige Schiff geflutet zu sein. Im Innenbereich blitzt Wasser.

Die Rhybadi ist wirklich ein Unikum und mit Historie dazu. 1870 wurde sie vom damaligen Stadtbaumeister Johann Gottfried Meyer auf Kiel gelegt und hat seitdem diverse Veränderungen erlebt. Über Meyer ist einiges bekannt: Er wuchs in einer großen Schaffhauser Familie auf und war das zweitjüngste von acht Kindern. Wie es sich gehört, machte er eine Lehre im Zimmerhandwerk und danach ein Studium am Polytechnikum in Zürich. Im zarten Alter von erst vierundzwanzig Jahren wählte ihn der Stadtrat von Schaffhausen zum Stadtbaumeister. In der Nachbetrachtung erscheint sein Wirken ungewöhnlich. Trotz vieler Bildungsreisen und seinem kurzen Leben – er starb schon mit 36 Jahren – baute er Bürgerhäuser, Villen, ein Pfarrhaus, einen Friedhof, ein Großviehschlachthaus und auch ein Schulhaus. Er schuf sogar zwei wohl wunderbare Stadtbrunnen, für die Schaffhausen so berühmt ist. Sie sind leider nicht mehr. Da er mit den baulichen Zusammenhängen um das damals entstandene Wasserwerk am Rhein bestens vertraut war, erstaunt es nicht, dass er mit dem Bau der Rhybadi beauftragt wurde. Sie ist aus Holz und Meyer war ursprünglich Zimmerhandwerker.

Die Rhybadi hat heute eine Breite von 30 Metern und eine Länge von 186 Metern. Ursprünglich war sie kürzer und über zwei schmale Stege erreichbar. Heute trennt sie nichts vom festen Ufer. Die Badi gilt als das größte noch erhaltene Kastenbad in der Schweiz. Das Wort „Kastenbad“ bezeichnet den baulichen Umstand, dass Bäder außen von Holz umschlossen und innen See- oder Flusswasserflächen zum Vergnügen freihielten. Kastenbäder gab es in der Schweiz damals eine ganze Menge. Das älteste war das „Pfalzbadhysli“ zu Füssen des Basler Münsters. Dann existiert immer noch das „Bauschänzli“ an der Limmat in Zürich. Die Anstalt „Les Bains Pâquis“ in Genf. Das „Seebad“ am Caumasee bei Flims im Chalet-Stil. Das „Rhybadhysli Santihans“, oder eben St. Johann, ebenfalls in Basel und natürlich weitere. Das Santihans soll auch an ein Schiff erinnern. Vom Schweizer Heimatschutz jedenfalls wird die 1870 aus Holz erstellte Rhybadi als eines der schönsten Bäder der Schweiz bezeichnet.

In Wasserfließrichtung oben ist der „Spitz“, die zulaufende Spitze, die bautechnisch wie ästhetisch durchaus Sinn macht. Da gibt es eine Besonderheit, nein zwei. Der Architekt hat einen Zwischenboden aus Holzplanken einlegen lassen, der die Wassertiefe für Nichtschwimmer geeignet macht. Dann sind die schönen Umkleidekabinen mit maritim flatternden, gestreiften Vorhängen für Jugendliche tabu. Warum auch immer. Direkt unterhalb vom Spitz schließt sich das „Mannenhägli“ an. Es war ursprünglich nur für Männer gedacht. Mit dem „Hägli“ wurden die wilden Kerle offensichtlich eingezäumt. Es hatte immer einen Sprungturm. Früher aus Holz, heute aus Stahlrohr. Dann folgt später erbaut das kürzere „Frauenhägli“. Bis nach dem ersten Weltkrieg wurde in Schaffhausen wie wohl allerorts geschlechtermäßig getrennt gebadet. Zeitlich getrennt, denn das Frauenhägli gab es noch nicht. Männer und Buben wurden bei Badezeiten bevorzugt. Diese durften 62 Stunden pro Woche schwimmen und Frauen nur 27 Stunden. Und das zu ungünstigeren Uhrzeiten. 1893 erstritten Arbeiterinnen das Recht, sich abends nach getaner Arbeit ebenfalls in die Rheinfluten stürzen zu dürfen. Schaffhausen stand damals längst in der Entwicklung von industriellen Unternehmen wie der Georg Fischer AG, der IWC, der Alusuisse oder der SIG. 1901 kämpften Bürgerfrauen darum, auch sonntags baden zu dürfen. 1912 war es für den Stadtrat Zeit, die Frauenbadi, das Frauenhägli, anzubauen.

Von der ursprünglichen Badi des Johann Gottfried Meyer mit seinen 130 Holzpfählen ist vieles erhalten geblieben, aber auch durch An- und Umbauten und Sicherheiten wie Beton und Stahl ergänzt worden. Charme hat das Kastenbad mit seinen vorhangbewehrten Umkleidekabinen, den „Chäschtli“ zur Aufbewahrung von Pretiosen, den altmodischen Schildern und Schildchen und dem durch das Wetter gegerbten Holz immer noch. Mein kurzeitiger Chef in Schaffhausen fühlte sich da mit seinem dicken, geröteten Bauch und den spitz zulaufenden Beinen wie ein Waffelcornet mit Himbeereis und konnte den Besuch, charmant und humorvoll wie er war, trotzdem nicht lassen. Georg Blumenreiter, der im Theaterstück „Der Feind“ im Schaffhauser Theaterspektakel spielte, kurierte da seine Blessuren. Silvia Marty, die für die Nachwuchsförderung der Schwimmtalente in Schaffhausen viel tut, lernte in der Rhybadi schwimmen. Und jeder andere kann sich bestimmt einige gemütliche Stündchen mit einem guten Buch, wie Mark Twains „Reise durch die Alte Welt“ etwa, in der Rhybadi vorstellen. Bademeister Bert Schneider, das Urgestein, kann zufrieden sein.

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Dä Füüfer unds Weggli

August 7, 2010

In der Schweiz gibt es eine alte Redensart, die sagt, dass man beides nicht haben kann: „Dä Füüfer unds Weggli“. Gemeint ist damit, dass man sich zwischen dem Fünf-Rappen-Geldstück und dem Weggli, einem Milchbrötchen, entscheiden muss. Entweder die fünf Rappen behalten und auf das Brötchen verzichten oder umgekehrt. Zur Zeit der Etablierung der Redensart kostete ein Weggli noch fünf Rappen.

~Dä Füüfer unds Weggli ?~

Genauso ist es heute in der Schweizer Politik. Wir wollen unsere doch weitreichende Demokratie und würden gerne auf deren Auswüchse verzichten. Also dä Füüfer unds Weggli haben. Verzichten würden wir gerne auf die Autobahnpartei zum Beispiel, die dereinst die Landschaft zubetonieren wollte und für unbeschränktes Tempolimit plädierte. Die hat sich meines Wissens von selbst erledigt. Schlimmer ist es mit der SVP und ihrem populären und populistischen Aushängeschild Christoph Blocher. Auch wenn ich kein Anhänger der Schweizerischen Volkspartei bin, hat sie als Volkspartei mit einem Wähleranteil von 28,9% (2007) wie in jedem demokratischen Land natürlich ihre Berechtigung. Aber warum um Himmels Willen braucht sie einen Blocher am rechten Rand ihres Spektrums? Ganz einfach: der Pfarrerssohn, ehemalige Grossunternehmer und jetzige Milliardär hat die Partei zu einer schlagkräftigen, straff geführten und einheitlich auftretenden rechtsbürgerlichen Protestbewegung gewandelt, die praktisch in der ganzen Schweiz und in allen sozialen Schichten Anhänger findet.

Blocher, der Volkstribun, wie ihn manche bezeichnen, polarisiert. Er beschert mit seinen Thesen, die provokant und plakativ-vereinfachend sind, der Partei gute Wahlresultate und schreckt manche ab. Er bezeichnete Linke als rote Ratten, lancierte die Ausschaffungsiniative mit, erfand für die Gesundheitspolitik den Begriff „Scheinivalide“ und geriet vor allem in der Roschacher-Affäre unter Beschuss. Damals war er immerhin Bundesrat und Justizminister und diffamierte als solcher den Bundesanwalt Valentin Roschacher. Der ermittelte in Geldwäschereifällen. Roschacher, etwas glücklos agierend, trat von seinem Amt zurück. Blocher wurde bei der Gesamterneuerungswahl des Bundesrates Ende 2007 nicht wiedergewählt und unterlag seiner SVP-Kollegin Eveline Widmer-Schlumpf. Das alles ist sehr lückenhaft und vereinfachend dargestellt und ja eh hinlänglich bekannt.

Christoph Blocher ist heute Vizepräsident der SVP und für die Bereiche Recherchen, Strategien und Kampagnen verantwortlich. Nun ist vor längerer Zeit der Verleger und Chefredaktor der „Schaffhauser Nachrichten“, Verwaltungsratspräsident der „Radio Munot Betriebs AG“ und VR-Delegierter der „Schaffhauser Fernsehen AG“ Norbert Neininger auf die glorreiche Idee gekommen, eine wöchentliche Sendung mit Herrn Blocher für sein Lokalfernsehen zu produzieren. Die Serie nennt sich „Das Blocher-Prinzip“ und sie ist schon bei Folge 153. Ich habe eine Folge gesehen. Das reicht auch zur Beurteilung. Man darf sich das so vorstellen: der Journalist, Blocher Spezi und Blocher Biograph Matthias Ackeret interviewt den gebürtigen Schaffhauser Blocher in freundschaftlicher und idyllischer Atmosphäre. Sonnenstrahlen zaubern bezaubernde Flecken durch das Laubdach eines Sommersitzplatzes. Die Vögel sind frei von Arg. Und Blocher erzählt mit seiner heimeligen Stimme etwas über das Leben und die Politik. Käme ich vom andern Stern würde ich denken „Was für ein netter Mann“. Hört man etwas genauer hin, wendet man sich ab mit Grausen. Herr Ackeret beschränkt sich auf euphorische Zustimmung. Die „NZZ“, immerhin, bezeichnet diese Aufzeichnungen als „Schweizer DDR-Fernsehen“ und präzisiert „Man fühlte sich an die devoten Gepflogenheiten der Medienschaffenden im Staatsfernsehen des ehemaligen Ostblocks erinnert“. Nun ist die „NZZ“ beileibe kein Blatt, das dem eher bürgerlichen Parteienspektrum fremd ist, und auch mit Ostblock hat das nichts zu tun. Es ist Schweizer Realität, wenn auch nur ein Teil davon.

Also was will ich? Dä Füüfer unds Weggli? Ich bin für dä hart Füüfer, für Kommunikation jeglicher Meinung. Aber dann bitte anders dargestellt als in einem unbezahlten Werbespot. Lokalfernsehen sollte sich nicht nur an Ja-Sager richten. Das wäre das Weggli, das ich auch will. Also etwas intelligentere Beiträge in unserem Lokalfernsehen.