Notizen aus der Werbung

April 11, 2024

Ab und zu berichte ich hier über Produkte aus der Werbebranche. Selten, weil es nicht von allgemeinem Interesse ist und weil ich vieles, was produziert wird, für dämlich halte. Aber manchmal juckt es mich, bei, wie ich finde, gelungenen Beispielen. So aktuell bei einem Werbespot für die Baumarktkette Hornbach. Ich bin mir sicher, dass dieser Spot ein löbliches Beispiel für gute Werbung ist und dass der Art Directors Club für Deutschland es mit einer Prämierung bestätigen wird.

~Der Kokon: Wiederholt sich wie jedes Jahr das Wunder der Natur?~

Hornbach wird seit über 23 Jahren von der Agentur „Heimat“ aus Berlin werblich betreut. Nicht nur der Name der Agentur ist ungewöhnlich – der Begriff „Heimat“ ist ja bei vielen unnötig in Verruf geraten – auch die Dauer der durchgängig werblichen Betreuung ist außergewöhnlich selten. Aber das hat sich der Agenturchef und Gründer Guido Heffels redlich verdient.

~Eine schleimige Angelegenheit: Ein Mann schlüpft aus dem Kokon.~

Der Spot, zu dem ich gleich komme, ist ziemlich verrückt. Er bewirbt mit einer ungewöhnlichen Idee die Marke. Nur die Marke. Das ist bei einem Auftraggeber dieser Art, einem Kunden mit tausenden Artikeln, auch der einzig richtige Weg. Um Gartenerde als Einzelprodukt zu bewerben braucht man keine Werbeagentur. Zudem sind Produkte in Baumärkten meist austauschbar. Es geht also nur um Aufmerksamkeit und Image.

~Oh Freude: Hurtig gesellt er sich zu einer Gruppe von werkelnden Menschen.~

Mit dem Text „Jedes Frühjahr ein neuer Anfang“ zeigt Hornbach ein von einem Baum hängenden großen Kokon. Aber aus dem schleimigen Innern schlüpft keine Raupe die sich zu einem zarten Schmetterling entwickelt, sondern ein Mensch, der mit einem Plumps auf die Erde fällt. Benommen richtet er sich auf und wankt zu einer Gruppe von Menschen, die in einer Lichtung mit Gartenarbeiten und Handwerkarbeiten beschäftigt sind. Eine bezaubernde Musik setzt ein und die Menschengruppe heißt den Neuling herzlich willkommen. Es ist eben das Wunder der Natur, dass sich jedes Frühjahr wiederholt.

~Der Pakshot: Jedes Frühjahr ein neuer Anfang.~

Die Agentur hat schon zum zweiten Mal mit dem schwedischen Regiekollektiv „Traktor“ zusammengearbeitet. Um die Musik kümmerte sich „Machine London“. Zu dem Spot haben viele brave Kommentatoren verärgert reagiert. Er entspricht wohl nicht der deutschen Seele. Ich finde ihn, wie alles was Heimat über die vielen Jahre für Hornbach produziert hat, großartig. Eine kleine Kritik hätte ich: Der Spot wird zu oft gezeigt. Howard Luck Gossage, einer meiner Lieblingstexter aus dem Amerika der Sechziger Jahre, war der Ansicht, dass man gute Werbung nicht zu wiederholen braucht. Auf jeden Fall nicht bis zum Erbrechen.

Besser als jede Beschreibung ist der Film:

Wenn sie nicht mit Gedanken spielen, spielen sie mit Karten.“ So oder ähnlich sagte es der deutsche Philosoph Arthur Schoppenhauer griesgrämig über seine Landsleute, die Deutschen. In der Schweiz ist es anders. „Jassen“, also Kartenspielen, ist selbst bei Intellektuellen äußerst beliebt. Zumal wenn das erwirtschaftete Geld für einen guten Zweck gedacht ist.

~Der schwarze König: Das Veranstaltungsplakat.~

Hier ein kurzer Bericht über das 31. Roji Negro Solidaritätsjassen: Seit vielen Jahren treffen sich jeweils Anfang Februar Hunderte von Kulturschaffenden, Menschen mit sozialem Gewissen und Freunde, die allesamt auch Jassliebhaber sind, zum Kartenspiel für einen guten Zweck. Das beliebte Event findet in einem Raum des Veranstaltungsort „Kulturmarkt Zürich“ statt und wird organisiert vom Guatemalakomitee, Zentralamerikasekretariat. Veranstalter sind  Barbara Müller, Claudia Furrer, Edith Bitschnau, Eva Horvath, Steff Rohner und Beat Schmid.

~Ein Raum im Kulturmarkt Zürich: Emsige Ruhe.~

Die Teilnehmer spielen den „Schieber“, eine beliebte Jassart mit vier Personen an einem Tisch. Den Partner kann man sich nicht aussuchen, er wird zugelost. In dieser Formation werden 8 Spiele gespielt, dann wird neu gezogen. Insgesamt sind es 10 Runden à 8 Spiele. Der persönliche Erfolg hängt vom Partner ab. Man spielt immer zwei gegen zwei. Der Gesamteinsatz kostet jeweils 100 Franken pro Person.

~Zwischenverpflegung: Kraft für die Teilnehmer.~

Von dem erwirtschafteten Geld wird die teilweise sehr arme Landbevölkerung in Guatemala unterstützt. Es fließt in Gemeinden und Kooperativen. Die Bäuerinnen und Bauern leben von selbst angebauten Landwirtschaftsprodukten wie Mais, Bohnen, Tomaten und Kohl. Je nach Beschaffenheit der jeweiligen Erde. Überschüsse werden möglichst auf dem Markt verkauft.

~Preise: Der begehrte Früchtekorb.~

Das Leben ist hart. Es gibt keine gut ausgebauten Straßen, keinen minimalen Luxus und vor allem kein funktionierendes Gesundheitssystem. Als Covid 19 Das Land erfasste gab es kaum Information über diese neuartige Epidemie. Diese kursierten nur über die wenigen Mobiltelefone und über mündlich übertragene Gerüchte. Roji Negro sorgte für Prävention und Information, für die Produktion von Seife und die Herstellung von Masken, stellte Nahrungsmittelpakete (Salz, Öl, Mehl, Zucker etc.) und fiebersenkende Medikamente zur Verfügung und sorgte für Transportmöglichkeiten in Notfällen. Und wichtig wie immer stellte sie Saatgut zur Verfügung.

~Wichtig: Ein Auszug aus den Jassregeln.~

Wenn man nun sieht, welche negative Wellen die Nachricht von einem von der Deutschen Regierung finanzierten Radweg in Peru vor allem durch unsägliche Oppositionspolitiker wie dem notorisch vergesslichen Hubert Aiwanger durch falsche Zahlen produziert, muss man für jede Privatinitiative dankbar sein. Sie erzeugt kein Neid. Das Solidaritätsjassen ist aber auch deswegen beliebt, weil es wie ein Familientreff ist. Man sieht sich jedes Jahr und es gibt eine bescheidene Verpflegung durch Sponsoren. Außerdem warten für jeden Teilnehmer Preise. Abgestuft durch seinen Erfolg oder Rang. Ebenfalls gesponsert. Äußerst beliebt sind die prächtigen Früchtekörbe. Aber auch ein ordentliches Stück Speck am Stück ist begehrenswert. Trost gibt dann auch ein Blumengutschein. Wie kann man die Zeit am Samstagnachmittag zwischen 13 und 20 Uhr sinnvoller verbringen als mit Jassen für einen guten Zweck?

~Es gibt verschiedene Bethlehems auf unserem Erdball. Eines liegt bei Steckborn.~

Das Bethlehem, von dem hier die Rede ist, liegt nicht im Westjordanland und ist auch nicht die hebräische Stadt des Brotes. Nein, nein. Es ist eines von vermutlich vielen Bethlehems auf unserem schönen Planeten. Genauer gesagt ist dieses Bethlehem ein kleines Fleckchen, sechs Straßenkilometer südlich vom reizenden Städtchen Steckborn am Untersee. Und noch genauer gesagt ist es eine kleine, immergrüne Kuhle beim aufregenden Dörfchen Unter-Hörstetten gegen das Thurtal hin. Und die Thur ist der Fluss, der dem Thurgau den Namen gab. Ich bin mir sicher, der Name „Bethlehem“ ist von Engeln verliehen oder zumindest von einem aufrechten Bauern ersonnen worden. Oder von der Bäuerin.

~Das weihnachtliche Bethlehem auf dem Seerücken am Untersee.~

Bethlehem ist etwas ganz Besonderes, denn da sagen sich Füchse und Hasen guten Tag. Aber nur, wenn sich der zärtliche Nebel vom Thurtal her lichtet. Tagsüber wärmt die fahle Wintersonne die fröstelnden Grashalme am Waldesrand und die Spatzen pfeifen auf den Kanalisationsdeckeln. Störche mit zerzausten Federn fliegen bisweilen zu den brachen Stoppelfeldern und die Katzenaugen putzen sich munter am Wegesrand. Gegen Abend geht die Sonne rechtschaffen unter und wenn es Nacht wird, erscheint ein übers andere Mal ein Komet am Firmament. So oft, dass es schon gar nicht mehr wahr ist. Diodor von Sizilien und Pythagoras von Samos sind ratlos. Kurz, Bethlehem ist ein Zauberort. Gerade in der winterlichen Zeit.

~Auch wenn es kein extra Strassenschild gibt, der Weiler heisst tatsächlich Bethlehem.~

Werden Balthasar, Melchior und Caspar es rechtzeitig zum Punsch schaffen? Werden Herodes und seine Häscher vom GPS verarscht werden? Gibt es Pulverschnee zu Weihnachten? Das alles bewegt die Menschen in Bethlehem. Die Vorplätze sind auf jeden Fall gefegt, das Heu in der Scheune und der Hofhund angekettet. Vater Joseph holt den Selbstgebrannten hervor und Mutter Maria stellt die „Chräbeli“ aus der schönen Blechdose bereit. Die Micky-Maus-Uhr im Kinderzimmer tickt erwartungsvoll. Es wird Weihnachten.

~Der Hof ist auf jeden Fall blitzblank gekehrt.~

Na dann Servus und fröhliches Fest.

P.S. Treue Leser werden es merken. Diesen Artikel habe ich schon mal gepostet. Aber es wollte mir zu Weihnachten partout nichts anderes einfallen.

~Exakt da wo der rote Punkt ist liegt Bethlehem~

In der Historie war Ermatingen ein Fischer- und Rebbaudorf. Es liegt idyllisch auf einer Landzunge auf der schweizerischen Seite des Untersees, der ein Teil des Bodensees ist. Etwa gegenüber der deutschen Insel Reichenau. Wie gesagt war der Fischfang wichtig; ein großer Teil der Bevölkerung war Fischer.

~Die historische Gangfischerei: Gemeinsame Arbeit mit Netzen.~

Etwas vom Fischerdorf ist geblieben. Es gibt noch Berufsfischer, was selten am Untersee ist, und eine Fischaufzucht. Auch geblieben ist die Groppenfasnacht. Ein Karneval benannt nach der Groppe, einem kleinen Fisch der hauptsächlich im Untersee vorkommt. Bei der Recherche zu diesem Artikel habe ich auch Fotos zu der Gangfischerei gefunden. Diese gemeinsam betriebene Fischerei mit Netzen nach dem Gangfisch, einem nahen Verwandten des Felchens benannt, fand früher im Winter statt. Der Gangfisch, vor allem die Weibchen, wurden dann geräuchert und galten als Delikatesse.

~Der Seegarten: Ein schön renoviertes Haus.~

~Der Hof bei der Scheune: Fröhliches Beisammensein.~

Kurios ist die Herkunft des Begriffs „Gangfisch“. Der Konstanzer Bischof Gebhard wurde mit seinem kleinen Schiff auf dem Untersee einmal von einem so großen Fischschwarm umringt, dass er nicht mehr weiterfahren konnte. Er soll dann gerufen haben „gang Fisch“, was soviel wie „geh Fisch“ bedeutet. Die Fische hätten dann das Boot freigegeben. So unglaublich das klingt, soviel Fische gibt es heute nicht mehr.

~Felchenfilets: Etwas paniert mit Salzkartoffeln und Spinat.~

Einst gab es in Ermatingen über 30 Restaurants auf kleiner Fläche. Heute findet man mit Mühe eines, dass dann auch noch Fisch anbietet. Das Lob gilt dem Ehepaar Luzia und Rolf Graf Meier, die den stillgelegten Seegarten kauften und das Lokal mit der Chefköchin Myrtha Graf 2011 aus dem Dornröschenschlaf weckten. Die beiden Schwestern sind Rückkehrer und walteten vorher in einem Lokal beim Campingplatz, das der Klinik Schloss Mammern gehörte. Rolf Meier ist Berufsfischer und betreibt auch eine Fischräucherei.

~Ein kleiner Hecht: Wie oben pur mit etwas Beilage. Selbstgemachte Mayonnaise separat.~

Der Seegarten besteht aus einem schönen „Stübli“, der „Schüür“ (Scheune) und vor allem der Gartenwirtschaft. Der Fisch ist fangfrisch aus dem See. Gefischt wird nach traditionellen Fangmethoden auf nachhaltige Art. Felchen und Aal werden von Rolf Meier auch geräuchert. Das Fleisch kommt aus der Schweiz aus tiergerechter Haltung. Gemüse, Kräuter und Früchte stammen von Thurgauer Bauern oder aus dem elterlichen Garten. Das Mehl kommt aus der Mühle Lamperswil. Sie verarbeitet regionales Getreide zu Mehl ohne jegliche Zusatzstoffe.

~Räucherei: Köstliches zum Mitnehmen.~

Ich war im Sommer da, auf der Terrasse. Man sitzt ausgesprochen gut, wie man in der Schweiz sagt. Interessant ist auch, dass ein Radwanderweg direkt am Haus vorbeiführt.

Haare

Oktober 16, 2023

Neulich geriet ich mit einer Boggerin in eine Diskussion über Haare. Sie benutzte am Rande einer Geschichte den Begriff „Fußballerfrisur“. Sie wissen schon: Undercut mit reingefräster Seitenlinie und Ähnliches. Mir ist klar, Fußballern ist manchmal ihr Kopfschmuck wichtiger als das Training zur Abwehr eines Eckstoßes. Meine Frisörin, die seit Jahren mein Haupthaar pflegt, mochte mir keine Fußballerfrisur verpassen. Und ich hatte auch keine Lust dazu.

Aber ich kam durch diesen Umstand auf Gedanken über Haare. Ein Marketingexperte sagte mir einmal, Haare wären die einzige Möglichkeit seine Natur zu optimieren. Dabei dachte er wohl nicht an die Millionen von Schönheitsoperationen. Wie auch immer. Um mit dem Thema nicht abzugleiten beschränken wir uns auf das Kopfhaar in weitesten Sinn. Das wächst pro Tag normalerweise 0,3 mm. Dieser Wert ist unter anderem abhängig von Alter, Hormonstatus und ethnischer Zugehörigkeit. Sie merken, das Thema ist delikater als erst angenommen. Umschiffen wir Dinge wie den Hormonstatus und auch wie oben schon angedeutet Rückenhaare, Bikinischnitt und anderes. Bleiben wir bei Thema.

~Rod Steward: Das Idol meiner Jugend respektive seine Frisur.~

Meine oben genannte Frisörin sorgt dafür, dass ich ansehnlich aussehe. Sie versichert mir auch, dass ich immer meine Haarfülle behalten werde. Früher sah ich aus wie Rod Stewart. Da schnitt ich mir aber aus Kostengründen die Haare selbst und mein Musikgeschmack war noch anders.

~Theo Waigel: Der Meister der Augenbrauen.~

Nun gibt es aber eine Sache die meine Frisörin beschäftigt. Und daran ist Theo Waigel schuld. Sie wissen noch, wer Theo Waigel ist? Theo war von 1989 bis 1998 deutscher Bundesminister der Finanzen. Er hat diese unglaublich fülligen Augenbrauen, buschig und tiefschwarz wie die CSU. Wenn man an seine Zierde wollte wurde er fuchsteufelswild. Nun kommen wir zum Ursprung meiner Geschichte. Meine Augenbrauen wachsen etwas wild und daran ist nicht Theo Waigel schuld, sondern meine damalige Freundin. Sie sagte immer „Theo Waigel“, holte die Schere und schnitt meine Augenbrauen etwas. Kenner der Materie werden wissen, dass das regelmäßige Stutzen den Haarwuchs fördert- Das weiß jeder der seinen Rasen regelmäßig mäht. Diese etwas nervige Sache korrigiert nun meine beste Freundin, die Frisörin, diskret und ohne Aufschlag.

~Nützliches Utensil: Meine Frisörin ist bestens ausgerüstet.~

Kommen wir zu den Haaren die aus der Nase wachsen. Damit habe ich keine Probleme. Aber eine Bekannte von mir. Nicht sie selbst, aber Männer. Sie datet nämlich fleißig und hatte dann endlich einen gefunden, der ihr intellektmäßig gefiel. Aber die Haare in den Nasenlöchern gingen gar nicht. Zum zweiten Date machte er sie weg. Aber da war für meine Bekannte das Ganze schon vorbei. Sie ist eben ein ungeduldiges Ekel.

~Die Glatze: Kein Grund zur Traurigkeit.~

Überspringen wir die Haare die aus den Ohren wachsen und kommen wir zu den Haaren die gar nicht wachsen. Ich habe lange Zeit mit einem Österreicher aus Kullerschlag gerne und gut zusammengearbeitet, der schon mit 24 Jahren eine Glatze hatten. Der Volksspruch „Wer in der Jugend viel bürstet, hat … „ konnte bei ihm unmöglich stimmen. Mit 24 … ? Trotz seiner Glatze oder vielleicht gerade deshalb war er ungeheuer lustig. Wir hatten viel Spaß zusammen und wurden geholt, wenn eine Fete in unserer großen Firma nicht so richtig in Schwung kam. Sie merken, selbst mit Glatze kann man ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft sein.

Der schweizerisch-englische Maler und Zeichner Johann Heinrich Füssli, geboren am 7. Februar 1741 in Zürich und verstorben am 16. April 1825 bei London, scheint hier in der Kunstwelt ziemlich bekannt zu sein. Ich kannte ihn nicht, wahrscheinlich habe ich ihn eher verdrängt. Nun sind seine Buntstiftzeichnungen, die thematisch mit seinen Malereien verwandt sind, im neuen Anbau des Kunsthauses zu sehen.

Der neue Anbau, Anfang Oktober 2021 eröffnet, stammt vom englischen Architekten Sir David Chipperfield. Als die ersten Entwürfe des Anbaus bekannt wurden, schienen viele Zürcher enttäuscht. „Da hätte man doch endlich etwas Unverkennbares machen können“. Ich konnte diese Enttäuschung nie verstehen, denn ich liebe David Chipperfield. Das rührt lange her. Ich hatte mal eine Serie von Artikeln über die Bebauung des Düsseldorfer Hafenareals geschrieben. Da drängte sich die Prominetz der Architekten. Ein Gebäude eigenwilliger als das andere. Alle mit Anklängen an Schiffe und Hafen wie Flachdächer mit Relings, Brücken zum Eingang etc. Albern. Eine der Wenigen, die anständig gebaut haben, war Chipperfield. Sein Haus fügt sich in die Umgebung ein und ist trotzdem eigenständig.

~Nackt bis auf die Schuhe: „Allegorie der Eitelkeit“, 1811.~

In Zürich hat man sich auch sehr bewusst für Chipperfield entschieden, weil man keine verrückte Architektur will. Die architektonischen Neuheiten sollen nicht den historisch gewachsenen „Leuchttürmen“ die Show stehlen. Der Erweiterungsbau der Kunsthalle schafft 5000 Quadratmeter zusätzliche Ausstellungsfläche. Die wird teilweise für die Unterbringung der Sammlung Bührle genutzt. Da gibt es große Proteste. Bührle, einer der reichsten Unternehmer der Schweiz, war Waffenhändler und kaufte zusammen was das Zeug hielt. Berühmte Stücke, aber eben auch Werke, die im Verdacht der Raubkunst der Nazizeit stehen. Da wird noch vieles aufgearbeitet werden müssen. Der Chipperfield-Bau wird aber auch mehrheitlich für Sinnvolles genutzt. Für andere wertvolle Sammlungen und eben auch für Wechselausstellungen. Die Sammlung der Zeichnungen von Füssli sind ein Beispiel.

~Zufällige Begegnung: „Dame vor Lakoon“, 1800-1805.~

Im Faltprospekt zu der Ausstellung schreibt das Kunsthaus: „Füssli. Mode, Fetisch, Fantasie“. Und so kommen wir dazu, warum ich mich erst sträubte, diesen Text zu schreiben. Füssli war seiner Zeit vielleicht voraus, aber seine Faszination für Damenrücken und deren Verlängerung stört mich. Das meinten die wohl mit Fetisch. Ich habe absolut nichts gegen Erotik in der Kunst. Amedeo Modiglianis „Nu couché“ von 1917 strotzt vor Erotik. Die ist aber echt und nicht verklemmt. Bei Füssli ist aber Verklemmtheit der Fall. Das liegt wohl daran, dass er von 1741 bis 1825 gelebt hat. Modigliani malte diesen fabelhaften Akt aber später, 1919, und wurde dafür heftig angefeindet.

~Immer wieder Rückenansichten: „Frau in einer Skulpturengalerie“, 1788.~

Lassen wir das aber mit dem Fetisch und widmen uns der Technik. Füsslis Zeichnungen, Buntstiftzeichnungen, sind von einer ungeheuren Virtuosität. Schon deshalb lohnt sich der Besuch der Ausstellung. Füssli studierte erst Theologie, wurde aber schon früh von seinem Vater in der Malerei unterrichtet. Er studierte die Alten Meister und wurde in seiner Maltechnik immer besser. 1788 wurde er in die Royal Academy of Arts aufgenommen. Damals war sein Lebensmittelpunkt London. 1788 heiratete er Sophia Rawlins, die betörend hübsch und viel jünger war. Sie wurde sein Lieblingsmodell.

~Schwungvoll: „Rückenansicht einer stehenden Frau“, 1796,1800.~

Füsslis Portraits zeigen Frauen mit steifen Miedern, Taillenbändern, gerüschten Ärmeln und spitzen Schuhen. Sie scheinen unnahbar und sehr selbstbewusst. Seine Kompositionen haben mystische Anklänge, zeigen aber vor allem viel Haut, unbedeckte Rückenpartien. Irgendwo habe ich gelesen, dass seine Frau als Model kunstvoll hohe Frisuren selbst machte und dann stundenlang ihre Posen hielt.

Fazit: Spezielle Kunst, faszinierende Technik.

Seit jeher gehört es zur guten Gepflogenheit, an Ostern im Restaurant Schiff in Mammern mit einem größeren Freundeskreis essen zu gehen. Mammern ist ein schmuckes kleines Örtchen am Untersee, dem unteren Teil des Bodensees. Das Restaurant Schiff ist eine der bekanntesten und traditionell besten Location in der Gegend.

~Das Restaurant Schiff: Ein stolzer Fachwerkbau.~

Mein Großvater mütterlicherseits war Fleischermeister im Nachbarsort und belieferte das in Mammern ansässige Kurhaus mit feinsten Filets, Würsten und anderen Köstlichkeiten. Selbst im Winter kämpfte er sich über die schneeverschneite Straße einige Kilometer zu seinem Lieferort. Anschließend kehrte er im Restaurant Schiff zu einem zweiten Frühstück ein. Seitdem ist der Anker zu unserem Familienlokal geworden. Geburtstage werden da gefeiert, Hochzeiten, und selbst die teuren Verstorbenen werden da geehrt.

~Das Wirtshausschild: Seit Jahrzehnten ein Zeichen für Qualität.~

Wie das Essen ganz früher war ist mir nicht bekannt. Heute ist es von einer unglaublichen Qualität und die bewusst wenigen Speisen auf der Karte werden nie geändert. Und die Qualität und die Lieferanten werden über Generationen beibehalten. Das scheint mir der Grund für den Erfolg zu sein. Die Kundschaft ist etwas nobler geworden. Sie ist nun internationaler und kommt bisweilen von weit her. Das sieht man an den Nummernschildern der Autos auf dem Parkplatz. Ein befreundeter Gallerist aus Düsseldorf geht regelmäßig ins Schiff und das sind immerhin 600 Kilometer Autofahrt. Er arbeitet da wohl mit einer Kunstbuchdruckerei in der Gegend und verbindet Arbeit mit Vergnügen.

~Der Jüngste der Familie mit Freund: Stets motiviert.~

Das Restauranthaus ist ein sorgfältig gepflegter Riegelbau. Es gibt einen kleinen Nebenbau mit liebevoll hergerichteten Gästezimmern. Im Sommer gibt es ein Gartenrestaurant und mittlerweile hat man draußen mit Kinderspielmöglichkeiten aufgerüstet. Das Wichtigste ist aber die Gaststube. Sie ist so wie früher viele waren, sorgfältig mit Holz getäfelt. Wände und Decken werden deshalb in einer Großaktion in der Winterpause mit Schmierseifenwasser sorgfältig in Stand gehalten. Das reinigt nicht nur, sondern imprägniert auch. In der Mitte der Gaststube ist ein alter Kachelofen von einem der Ofenbauern, die in der Gegend berühmt waren.

~Das Güggeliläberli: Das sollte man sich nicht entgehen lassen.~

Natürlich sind die Tische mit weißen Tischtüchern sorgfältig eingedeckt und an Ostern gibt es immer eine spezielle Dekoration. Eier, die mit Wiesenkräutlein umwickelt sind und dann in Zwiebelschalenwasser gekocht werden. Das ergibt ein weißes Muster auf kaffeebraunem Grund.

~Ein einfacher Kopfsalat: Frische und Vitamine garantiert.~

Auf der Speisekarte gibt es je nach Jahreszeit fangfrischen Fisch vom Berufsfischer aus der Gegend: Hecht. Egli, das ist ein Flussbarsch, auch wenn er im See schwimmt. Kretzer, das ist ein kleiner Egli der am Stück gebacken wird. Alle Fische sind so frisch wie sie nur sein können. Sie werden frühmorgens angeliefert und dann in einem Fischtrog lebendig gehalten.

~Ausnahmsweise ein Saibling: Ansonsten ist der Kretzer Pflicht.~

Neben den Fischgerichten gibt es „Güggeli“ gebacken. Ich nenne sie „Mischtchrazerli“, weil sie frei um den Bauernhof herumlaufen. Zur Vorspeise gibt es ein kleines Omelett mit „Güggeliläberli“ und anderes. Ich nehme immer das „Läberli“ mit einer kleinen feinen Sauce, dann den Salat und dann den Kretzer als große Portion. Das sind zwei aufeinanderfolgend Teller mit kleinen Salzkartoffeln und einer kleinen selbstgemachten Mayonnaise. Frau Meier, das ist die Wirtin, schaut immer kurz um die Ecke ob ich schon für die zweite Portion bereit bin.

~Kunstvoll gefärbte Eier: Die Osterdekoration.~

Damen entscheiden sich oft für das „Güggeli“. Ob es ansonsten Fleisch gibt weiß ich gar nicht. Das bekommt man ja auch woanders. Zu Schluss gibt es selbstgemachtes Eis mit etwas geschlagener Sahne. Wer es kalorienmäßig noch verträgt nimmt dazu ein Meringue, das ist eine Art Baiser. Früher habe ich mir oft einen Kirsch, einen Gravensteiner oder sonst einen Obstler gegönnt. Mittlerweile belasse ich es bei dem Kaffee.

~Der Untersee: Ein Verdauungsspaziergang muss sein.~

Da ich die Wirtin, Frau Meier, schon erwähnt habe. Das Schiff ist seit Generationen in Familienbesitz. Ich habe die Mutter von Frau Meier schon gekannt. An die Großmutter kann ich mich auch noch dunkel erinnern. Bei dem Meiers sind die Frauen immer im Service und die Männer in der Küche. Einige der Mitarbeiter sind angeheiratet, andere seit Ewigkeiten dabei. Das gibt für den Gast ein gutes Gefühl.

Joseph Beuys sagte über den Schweizer Künstler Harald Naegeli, bekannt als „Der Sprayer von Zürich“: „Alles was zu sagen und zu schreiben ist, basiert auf dem Zusammentreffen der 3 Elemente: er hat am richtigen Ort (1) zur richtigen Zeit (2) das Richtige getan (3).“ So der große Joseph Beuys.

~Wer steht mit seinem Arsch stundenlang im Straßenverkehr und schreibt um sein Leben?~

Naegeli hat uns seitdem manch schönes Kunstwerk beschert und der bürgerlichen Welt so manchen Schrecken. Auch andere Sprayer tun das, die bleichen Jungs mit den Wollmützen und den vom Sprühlack gefärbten Fingernägeln. Die, die nächtens durch die Gegend streichen und sich guerillamäßig feinen Klinker, schön gestrichene Fassaden, rauen Beton und Bundesbahnwagons vornehmen. Auftauchen, zuschlagen, verschwinden.

~An einem Bauzaun in Köln hat sich ein unbekannter Schreiber verwirktlicht.~

Mittlerweile gehört sprayen zur Grundausbildung jedes verhinderten Künstlers. Es gibt Ausstellungen, Bücher und Websites darüber und der Begriff „sprayen“ ist so abgenutzt, dass man eine neue Gattung erfunden hat: Streetart. Und gleich dazu noch eine neue Sparte im Malergewerk, das Entfernen von Graffitis. Die Kölner Anti Spray Aktion KASA ruft zum Informationsabend und die Politik fordert das Anti-Graffiti-Mobil. Die mobile Farbentfern-Einsatztruppe.

~Eine Art Inhaltsverzeichnis oder ein Programm.~

Die Person, über die ich hier aber berichte, hat mit alledem nichts zu tun. Ihr Werk prangt fernab jeder Farbigkeit auf ordinären, billigen Sperrholzplatten. An einer Baustelle des Nord-Süd-U-Bahnbaus. Diese Person, weiblichen oder männlichen Geschlechts, nutzt einen gewöhnlichen schwarzen Marker, mindestens ein edding 800 für ihre Kunst. Und so ungewöhnlich es klingt, es sind nur Texte zu sehen. Endlos aneinander gereihte Sätze, von fanatischer Hand geschrieben. Ja, ich gebe zu, eine gewisse Verrücktheit steckt schon dahinter. Wer um Himmels Willen schreibt sich dermaßen seine Wut von der Seele? Über zwanzig Quadratmeter?

~Ein Detail so unverständlich wie alles andere.~

Als erstes findet sich eine Art Inhaltsverzeichnis der Wandzeitung: „Jesus, Erros, Hindy, Nippon, Comic, Jesus und Janis Joplin, Jesus und Nina Hagen, Jesus und Queen, Jesus und Marilyn Monroe, Jesus und Jeanne d´Arc, Jesus und §“/&%?=)“. Da hat sich jemand viel vorgenommen und duldet offensichtlich Götter neben sich. Weiter lese ich erstaunt: „Jemand ? hat vor Gott Bestand“ Tatsächlich, mit Fragezeichen. „Myn Ziel ist die Jesus-Spiegelreflex“. Unglaublich. Das „ei“ ist immer durch „y“ ersetzt. „So abfahren = Renaissance Genieaffenerwerk“. Es geht weiter, und weiter, und weiter. Aber ich will Sie nicht zum Wahnsinn treiben. Es reicht mit meiner Irritation.

~Ein weiteres Detail.~

Nun muss ich sagen, so ungereimt das alles auch alles klingt, so hat es mich doch beeindruckt. Wer steht mit seinem Arsch stundenlang im Straßenverkehr und schreibt um sein Leben? Wer hat diese Energie? Diesen Wahnsinn? Vielleicht ist es doch einer, auf den Joseph Beuys (1), (2), (3) zutrifft. Wer weiß?

~Und noch eins.~

Den letzten Tag unseres Aufenthalts in Meiringen gestalteten wir mit einem Mischprogramm. Das heißt, wir holten das nach, was uns in unserer Kindheit sonst noch wichtig war. Eigentlich wäre ein Ausflug zur Aareschlucht möglich. Das ist die wilde Schlucht durch einen Kalk-Felsriegel zwischen Innerkirchen und Meiringen, der den Abfluss der Aaare aus dem Grimselgebiet behindert. Die Schlucht ist 1400 Meter lang und an ihrer engsten Stelle einen Meter breit. Die höchste Steilwand ragt 180 Meter hoch über den Fluss. Wie Sie sich vorstellen können ist das Ganze nicht nur eine romantische, sondern auch spritzige Angelegenheit. Der Weg führt über mehrere in den Fels gehauenen Stollen und an ihrer schon genannten engsten Stelle über einige Holzplanken, die über das tosende Wasser führen. Das viele Wasser, das unterhalb von Meiringen träge dahin fließt, trägt hier einen Kampf um die wenigen Meter Weg aus.

~Ganz schön schräg: Der Wagen der Reichenbachfallbahn.~

Wir hatten aber schon am Vortag die Gletscherschlucht Rosenlaui besucht und so ließen wir es gut sein. Stattdessen fuhren wir mit dem Auto morgens zu den Reichenbachfällen. Der Reichenbachfall ist eine südlich von Meiringen gelegene 300 Meter hohe Kaskade von sieben Wasserfällen. Diese sind vor allem bekannt durch das dramatische Ende der Kurzgeschichte „Das letzte Problem“ von Arthur Conan Doyle. Da stürzt sich sein Held Sherlock Holmes im Kampf mit seinem Intimfeind, dem Schurken Moriarty, über eine Brüstung in den Tod. Arthur Conan Doyle hatte nach einer Serie keine Lust auf seinen Detektiv mehr und ließ ihn so sterben. Das kennt man ja von Serienhelden aus dem Fernsehen. Dummerweise hatte die Leserschaft aber etwas dagegen und so musste Doyle das Kunststück fertigbringen, Holmes wieder zum Leben zu erwecken. Das gelang ihm ganz leidlich und sein literarisches Genie wurde mit viel Geld belohnt.

~Mit mehr Wasser noch dramatischer: Der oberste Reichenbachfall.~

Zur Aussichtsterrasse der Fälle führt eine kleine, schmalspurige Standseilbahn, die mir schon als Kind gefallen hat. Die zwei Holzwagen, einer für die Fahrt hinauf und einer für die gleichzeitige Fahrt hinunter, haben Abteile, die wie Treppenstufen angeordnet sind. Die Sitze sind waagerecht, ganz im Gegensatz zur Schiene, die logischerweise schräge hinaufführt. Daher kommt es zu diesem treppenähnlichen Versatz der Abteile. Damit alles noch aufregender wird sind die Abteile offen. Die Fahrt führt über buckelige Alpweiden, Waldstücke und Brücken. Am 8. Juni 1899 wurde die Bahn eingeweiht und seitdem öfters sorgfältig renoviert.

~Blitzblank wie ein Schweizer Uhrwerk: Das Maschinenhaus.~

Von den Reichenbachfällen wird regelmäßig Wasser für das Kraftwerk Schattenhalb abgezweigt. Dabei wird darauf geachtet, dass immer genügend Wasser für die Touristen über die Fälle fließt. Bei uns haben sie etwas geknausert. Oben auf der Terrasse gibt es ein schmuckes Maschinenhaus und eine Holmesfigur aus Holz für Fotografien. Sie kennen das: Man steckt den Kopf an der vorgegebenen Stelle der Figur.

~Komisch: Sherlock Holmes als Fotofigur.~

Am Nachmittag fuhren wir zu einem Ausflug an den wunderbaren Brienzer See und besuchten das Örtchen Brienz. Der historische Ortskern ist wunderbar erhalten. Ich habe noch nie so viele Berner Oberländer Holzhäuser auf einen Haufen gesehen. Als Abschluss gönnten wir uns noch Interlaken. Der mondäne Ort liegt zwischen Brienzer- und Thunersee. Deswegen der Name Interlaken: zwischen den Seen.

~Wie gemalt: Der Brienzer See.~

So, das war´s. Es war ein schöner Trip in die Kindheit mit fünf Artikeln.

Der Name „Rosenlaui“ könnte von einem lauschigen Feld mit Alpenrosen herkommen. Wikipedia weiß es aber besser: „Die Herkunft des Namens Rosenlaui wird aus dem Altdeutschen ross, für reissend und dem Haslideutschen laui, für Lawine hergeleitet und bedeutet reissende Lawine“. Wie auch immer. Im letzten Artikel hatte ich ja versprochen, dass es in die Berge geht. Mit dem Postauto.

~Früher war alles schöner: Das Postauto Saurer L4C „Alpenwagen III“.~

Das Rosenlaui liegt in den Bergen. Auf 1328 m ü. M., in der Mitte des Rosenlauitals, an der Passstraße über die Grosse Scheidegg. Rosenlaui gilt als die kleinste Ortschaft der Schweiz und besteht eigentlich nur aus einem historischen Hotel aus der Gründerzeit des Tourismus in der Schweiz. Wenn Sie mehr wissen wollen, fragen Sie am Besten Johann Wolfgang von Goethe. Der war wie viele Bildungsreisende da. Aber keine Sorge. Ich erzähle weiter. Der Tag steckte voller Überraschungen.

~Der Glanz vergangener Zeiten: Das Hotel Rosenlaui.~

Etwas früh warteten wir am Meiringer Bahnhof auf das Postauto, das leider heute nicht mehr so nostalgisch rund ist wie das Postauto Saurer L4C „Alpenwagen III“. Bleche werden heute nicht mehr nach Schönheit, sondern nach Wirtschaftlichkeit gebogen. Wir warteten aber auch auf Hans-Peter. Und das sollte eine Überraschung werden. Sie erinnern sich vielleicht. Hans-Peter Bysäth war unser bevorzugter Spielkamerad in Meiringen während der Kindheit. Ich hatte im Internet schon mal nach ihm geforscht und ihn auch gefunden. Er ist mittlerweile ganz schön groß geworden, ist in der Weltgeschichte herumgereist, und nun Architekt in Bern. Ich hatte schon einige Male mit ihm telefoniert und erfahren, dass er als Architekt in der großen Riege von Architekten beim Bau des Pariser Centre Pompidou mitarbeitete, das von Renzo Piano, Richard Rogers und Gianfranco Franchini. Er ist der Liebe wegen nach Helsinki gezogen, dann der Nicht-Liebe wegen auch wieder weg. Er war in Amerika, in Italien und als Architekt auch im Berner Oberland. Ich wusste also ganz viel über ihn, aber nicht wie er aussieht.

~Vielleicht noch etwas früh: Ein zünftiger Znüni.~

Hans-Peter wollte mit uns die Tour ins Rosenlaui mittmachen und dann in Meiringen mit uns zu Abend essen. Wir fanden ihn schnell und wie am Telefon äußerst interessant. Im Postauto quatschen wir so viel, dass ich mich zwingen musste, auch mal nach draußen zu sehen. Im Herbst sehen die Almwiesen noch putziger aus als sonst. Sie können nicht mit großen Maschinen bewirtschaftet werden, denn überall liegen Felsbrocken. Aber um die herum sind die Wiesenstücke zur Herbstzeit wie mit der Nagelschere getrimmt, sauberer als der Golfplatz von Donald Trump. Die Schweiz ist halt ein ordentliches Land.

~Jugendstil in Arvenholz-Gemütlichkeit: Das Hotel Rosenlaui von innen.~

Irgendwann kamen wir im Rosenlaui an. Der kleine Ort lag schon immer an dem spätmittelalterlichen Saum- und Passweg über die Grosse Scheidegg hinunter nach Grindelwald. Er war und ist für die Milch- und Viehwirtschaft wichtig. Zu unserer Kindheit war die Straße noch nicht asphaltiert. Heute ist sie es. Ende des 18. Jahrhunderts wurden an Saumwegen erste Gasthäuser eröffnet, die durch Reiseberichte zu Weltruf kamen. 1788 wurde das Rosenlaui dank entdeckter Schwefelquellen sogar ein Kurbad. Es wurde zum Belle-Èpoque-Kurhaus und Touristenherberge. Nach einem Brand 1862 wurde der jetzige Zustand hergestellt. Jugendstil in Schweizer Arvenholz-Gemütlichkeit.

~Die Gletscherschlucht Rosenlaui: Mit Geräusch natürlich dramatischer.~

Etwas oberhalb des Hotels liegt die Gletscherschlucht Rosenlaui. Sie ist seit 1903 gut erschlossen und hat einen Weg von 573 Metern Länge und eine Höhendifferenz von 155 Metern. Bei der Höhendifferenz sollte man es geruhsam angehen. Nicht so Hans-Peter, der eine beneidenswerte Form hat.

~Auch bei durchwachsenem Wetter: Die Berge sind schön.~

Nach dem Mittagessen fuhren wir weiter bis zur Schwarzwaldalp. Dort findet sich ein Knotenpunkt mit einer andern Postautolinie über die besagte Grosse Scheidegg nach Grindelwald. Es gibt ein Hotel mit Restaurant, einen kleinen Stand mit Produkten aus der Almwirtschaft und ein historisches Sägewerk mit Wasserrad-Antrieb. Das ist das Sympathische an der Schweiz: Kulturdenkmäler werden restauriert und weiterbetrieben. Der Mann, den wir antrafen, wurde für diesen Job eigens angelernt und wusste so Einiges über die Entwicklung der Anfänge der Entwicklung in den Alpen. Lebendiges Museum.

~Romantik pur: Die Mühle mit dem alten Wasserrad.~

Was mich besonders beeindruckt hat war die Ruhe trotz einiger Touristen. Das emsige Geräusch der Kuhglocken störte nicht, sondern unterstützte die friedliche Atmosphäre. Das Wasserrad der Mühle ratterte und ich hörte die Ausführungen des Sägemannes wie in Tranche. So etwas ist Entschleunigung pur.

~Das Beste zur Entschleunigung: Die Schwarzwaldalp.~

Wir fuhren mit dem Postauto zurück und erinnerten uns, dass wir während der Kindheit einmal den letzten Autobus verpasst hatten. In sternklarer Nacht liefen wir talwärts und hatten, da es Neumond war, nur die beiden etwas helleren Streifen Kies, die die Straße andeuteten, als Orientierung. Wie gesagt, die Straße wurde spät asphaltiert.