Dä Füüfer unds Weggli

August 7, 2010

In der Schweiz gibt es eine alte Redensart, die sagt, dass man beides nicht haben kann: „Dä Füüfer unds Weggli“. Gemeint ist damit, dass man sich zwischen dem Fünf-Rappen-Geldstück und dem Weggli, einem Milchbrötchen, entscheiden muss. Entweder die fünf Rappen behalten und auf das Brötchen verzichten oder umgekehrt. Zur Zeit der Etablierung der Redensart kostete ein Weggli noch fünf Rappen.

~Dä Füüfer unds Weggli ?~

Genauso ist es heute in der Schweizer Politik. Wir wollen unsere doch weitreichende Demokratie und würden gerne auf deren Auswüchse verzichten. Also dä Füüfer unds Weggli haben. Verzichten würden wir gerne auf die Autobahnpartei zum Beispiel, die dereinst die Landschaft zubetonieren wollte und für unbeschränktes Tempolimit plädierte. Die hat sich meines Wissens von selbst erledigt. Schlimmer ist es mit der SVP und ihrem populären und populistischen Aushängeschild Christoph Blocher. Auch wenn ich kein Anhänger der Schweizerischen Volkspartei bin, hat sie als Volkspartei mit einem Wähleranteil von 28,9% (2007) wie in jedem demokratischen Land natürlich ihre Berechtigung. Aber warum um Himmels Willen braucht sie einen Blocher am rechten Rand ihres Spektrums? Ganz einfach: der Pfarrerssohn, ehemalige Grossunternehmer und jetzige Milliardär hat die Partei zu einer schlagkräftigen, straff geführten und einheitlich auftretenden rechtsbürgerlichen Protestbewegung gewandelt, die praktisch in der ganzen Schweiz und in allen sozialen Schichten Anhänger findet.

Blocher, der Volkstribun, wie ihn manche bezeichnen, polarisiert. Er beschert mit seinen Thesen, die provokant und plakativ-vereinfachend sind, der Partei gute Wahlresultate und schreckt manche ab. Er bezeichnete Linke als rote Ratten, lancierte die Ausschaffungsiniative mit, erfand für die Gesundheitspolitik den Begriff „Scheinivalide“ und geriet vor allem in der Roschacher-Affäre unter Beschuss. Damals war er immerhin Bundesrat und Justizminister und diffamierte als solcher den Bundesanwalt Valentin Roschacher. Der ermittelte in Geldwäschereifällen. Roschacher, etwas glücklos agierend, trat von seinem Amt zurück. Blocher wurde bei der Gesamterneuerungswahl des Bundesrates Ende 2007 nicht wiedergewählt und unterlag seiner SVP-Kollegin Eveline Widmer-Schlumpf. Das alles ist sehr lückenhaft und vereinfachend dargestellt und ja eh hinlänglich bekannt.

Christoph Blocher ist heute Vizepräsident der SVP und für die Bereiche Recherchen, Strategien und Kampagnen verantwortlich. Nun ist vor längerer Zeit der Verleger und Chefredaktor der „Schaffhauser Nachrichten“, Verwaltungsratspräsident der „Radio Munot Betriebs AG“ und VR-Delegierter der „Schaffhauser Fernsehen AG“ Norbert Neininger auf die glorreiche Idee gekommen, eine wöchentliche Sendung mit Herrn Blocher für sein Lokalfernsehen zu produzieren. Die Serie nennt sich „Das Blocher-Prinzip“ und sie ist schon bei Folge 153. Ich habe eine Folge gesehen. Das reicht auch zur Beurteilung. Man darf sich das so vorstellen: der Journalist, Blocher Spezi und Blocher Biograph Matthias Ackeret interviewt den gebürtigen Schaffhauser Blocher in freundschaftlicher und idyllischer Atmosphäre. Sonnenstrahlen zaubern bezaubernde Flecken durch das Laubdach eines Sommersitzplatzes. Die Vögel sind frei von Arg. Und Blocher erzählt mit seiner heimeligen Stimme etwas über das Leben und die Politik. Käme ich vom andern Stern würde ich denken „Was für ein netter Mann“. Hört man etwas genauer hin, wendet man sich ab mit Grausen. Herr Ackeret beschränkt sich auf euphorische Zustimmung. Die „NZZ“, immerhin, bezeichnet diese Aufzeichnungen als „Schweizer DDR-Fernsehen“ und präzisiert „Man fühlte sich an die devoten Gepflogenheiten der Medienschaffenden im Staatsfernsehen des ehemaligen Ostblocks erinnert“. Nun ist die „NZZ“ beileibe kein Blatt, das dem eher bürgerlichen Parteienspektrum fremd ist, und auch mit Ostblock hat das nichts zu tun. Es ist Schweizer Realität, wenn auch nur ein Teil davon.

Also was will ich? Dä Füüfer unds Weggli? Ich bin für dä hart Füüfer, für Kommunikation jeglicher Meinung. Aber dann bitte anders dargestellt als in einem unbezahlten Werbespot. Lokalfernsehen sollte sich nicht nur an Ja-Sager richten. Das wäre das Weggli, das ich auch will. Also etwas intelligentere Beiträge in unserem Lokalfernsehen.

2 Antworten to “Dä Füüfer unds Weggli”


  1. […] Lesen eines sehr nachdenklich stimmenden Textes über Meinungsfreiheit und die Notwendigkeit, dann auch blöde M…, bin ich auf das schweizerdeutsche Äquivalent einer englischen Redensart gestossen: Dä Füüfer […]


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