Wo ist der Kleine Bär?

Juli 18, 2010

Irgendwie ist es eine gute alte Gewohnheit von mir, nachts in feierlichen Momenten den Sternenhimmel zu betrachten. Das mache ich seit meiner Kindheit, als mir mein Vater gezeigt hat, wo der Kleine Bär ist. Da der Kleine Bär auch als Kleiner Wagen bezeichnet wird, wollte ich natürlich wissen, wo der Große Wagen ist. In meiner kindlichen Logik setzte ich seine Existenz voraus. Der Große Bär oder Große Wagen ist praktischerweise in Nachbarschaft zum kleinen Bruder zu finden. Und es gibt etwas, was mich sehr beeindruckt hat. Verlängert man nämlich gedanklich die beiden hellen Sterne, die das Hinterstück des Großen Wagens bilden, um das Fünffache, gelangt man direkt zum Polarstern, zu Polaris, dem Himmelsnordpol.

Dieser frühkindliche Blick in den nächtlichen Himmel hat mich so fasziniert, dass ich damals beschloss, meine ernsten Pläne Archäologe zu werden zu begraben um fortan Astronom zu werden. Als Erstes bastelte ich mir gleich ein Fernrohr mit zwei ineinander geschobenen Pappröhren und einem Brillenglas am oberen Ende und dem Okular eines Fernglases am unteren. Durch Verschieben der Pappröhren und so der Brennweite stellte ich mir den Mond schön scharf ein und betrachtete ihn stundenlang. Meine Nachbarn wunderten sich, warum ein Knirps nächstens solange auf dem Balkon beschäftigt war. Vom Hubble-Weltraumteleskop hatten sie wohl noch nie gehört.

~Sternbilder des Südhimmels, Darstellung von 1661. Etwas anders als die von mir benutzte Sternkarte~

In Kapstadt nun versuchte ich schon in der ersten Nacht, Sternbilder am Firmament zu finden. Gewohnheitsgemäß begann ich mit dem Kleinen Bären. Der war aber nicht da, konnte auch nicht. Polaris mit seinen Bären ist nur in der nördlichen Hemisphäre zu sehen. Dafür gab es andere Sternbilder, von denen ich bis anhin nur gehört hatte. Und auch das nur teilweise. Eine wunderbare Welt tat sich auf und ich kaufte mir eine Sternenkarte. Der südliche Sternhimmel ist reich an Trouvaillen und man sagt, dass es in der südlichen Hemisphäre mehr zu entdecken gibt. Zum Beispiel das Sternbild „Achterdeck des Schiffes“, den „Altar“, den „Becher“, den „Bildhauer“, das „Chamäleon“, den „Chemischen Ofen“, „Eridanus“, die „Fliege“, den „Fliegenden Fisch“, den „Grabstichel“, den „Großen Hund“, den „Hasen“, den „Indianer“, den „Kiel des Schiffes“, den „Kranich“, den „Maler“, das „Mikroskop“, den „Paradiesvogel“, den „Pfau“, den „Pfeil“, den „Schiffskompass“, den „Schwertfisch“, das „Segel des Schiffes“, den „Skorpion“, den „Steinbock“, das „Südliche Dreieck“, den „Tafelberg“, die „Taube“, den „Tukan“, die „Waage“, den „Wolf“, den „Zentaur“, den „Zirkel“ und natürlich das „Kreuz des Süden“. Ich wunderte mich überhaupt nicht, dass diese Sternbilder exotische und teilweise maritime Namen hatten. Galten Sterne oder Sternbilder doch schon in der frühen Seefahrt auch in südlichen Gewässern als Orientierungshilfe für tapfere Steuerleute.

Sternbilder waren schon in grauer Vorzeit für die Menschheit wichtig, denn sie nahmen eine unverzichtbare Bedeutung in der Mystik und Sagenwelt ein. Auch zur Jahreszeit- und Fruchtbarkeitsbestimmung dienten sie. Schon in prähistorischen und schriftlosen Kulturen wurden Sternbilder dargestellt. So ist es zum Beispiel möglich, dass im Stiersaal der französischen Höhle von Lascaux ein kompletter Tierkreis abgebildet wurde. Auch auf der Himmelsscheibe von Nebra, einem Fund in Sachsen-Anhalt aus der Bronzezeit, sind zweifelsohne Gestirne abgebildet. Nordamerikanische Indianer, australische Aborigines, südafrikanische San und mittelamerikanische Inka und Maya liebten Sterne. Altägyptische Darstellungen im Grab des Senenmut beschäftigen sich mit Sternbildern. Dass diese Darstellungen mit dem heutigen Sternhimmel oder den uns geläufigen Sternbildern nichts mehr gemein haben, hat auch mit der Veränderung des Universums über diese riesige Zeitspanne zu tun. So richtig wissenschaftlich wurde die Deutung und Katalogisierung der Gestirne für unsern Kulturraum mit dem Griechen Ptolemäus. Seitdem haben Generationen von Gelehrten um die kommode Benennung und Einordnung von Sternbildern gestritten. In der heutigen Astronomie und Astrophysik haben Sternbilder keine Bedeutung mehr. Hubble, Einstein und viele andere Fachleute haben mit aufregenden Erkenntnissen dafür gesorgt.

Aber wie schön ist es, in den nächtlichen Himmel zu schauen, über den ordinären Alltag hinaus klein zu werden und sich wirren Gedanken über das Universum, Raum und Zeit hinzugeben. Der nächtliche Himmel, auch der von Südafrika, hat eine außergewöhnliche Suggestion.