Das Weisshorn

Januar 1, 2011

Arosa, im Herzen Graubündens, ist im Sommer wie im Winter einen Aufenthalt wert. Ganz besonders das Weisshorn. Da steht man auf dem Gipfel und hat zwei Möglichkeiten: Den Blick nach oben oder den Blick nach unten.

Beginnen wir mit dem Blick nach unten. Ein Silvestermorgen (Sie können auch den Neujahrsmorgen nehmen, das ist mir Wurst). Körper und Geist sind noch ruhig, das Adrenalin der Schwarzen Piste reserviert. Nach unten schauend ist die Welt klein. Der 911er Porsche aus Vaduz mit dem Kratzer auf der Fahrertür misst max. 0,8 Müh zwischen Daumen und Zeigerfinger. Der Wohnwagen aus NL mit den stetig beschlagenen Scheiben max. 1 Müh. Den Postboten kann ich kaum erkennen, den Mann aus Israel auch kaum.

~Der Blick vom Weisshorn in den klaren Himmel bei Tag~

Habe ich alle meine Rechnungen bezahlt? Die schmutzige Wäsche gewaschen? Die Postkarte an Katharina abgeschickt? Es hat keine Bedeutung, alles Irdische ist Wurst. Die Luft ist klar, der Kopf auch. Der Tag ist jung. Bin ich heute ein anderer Mensch? Oder werde ich ein besserer? Oder ist, wenn ich unten bin, wieder alles beim Alten? Es ist Wurst. Arosa, und auch Innerarosa und damit die Welt sind 0,923 km entfernt. Ich bin der Größte.

~Der Blick vom Weisshorn in den Sternhimmel bei Nacht~

Fahren wir fort mit dem Blick nach oben. Ein Silvesterabend (Das ist Pflicht). Sie stehen allein in kalter Luft. Sie haben das Recht, alleine zu sein. Denn Sie haben jeden geknutscht, der zum Knutschen war. Der Himmel ist absolut klar, ohne Lichtsmog. Er ist gigantisch, der Sternenhimmel. Sie können das Sternbild des Großen Bären (oder auch Großer Wagen) ganz gut erkennen. Das hat Ihnen Ihr Vater, als Sie Fünf waren, gezeigt. Wenn Sie die Hinterachse des Großen Wagens etwa um das Fünffache verlängern, sind Sie beim Polarstern. Der war schon immer da. Die Griechen der Antike nannten ihn „Phoenice“, die Araber „al-Rukkabah“, die Türken „yıldız“,  also einfach nur Stern. Eigentlich ist der Polarstern ein Dreifachsystem, glaubt man heute. Polaris A, Polaris Ab und Polaris B. Egal, er ist ca. 4.067.800.000.000.000 und etwas mehr km entfernt. Und das ist nicht einmal weit weg. Da kennen wir andere.

Und irgendwo sitzt die gestalterische Kraft, oder auch nicht. Ich bin ganz klein. Der Sternenhimmel hat mich schon immer fasziniert, seit ich Fünf bin. Brrrrrr. Es wird kalt.

Das nächste Mal gibt es den Panoramablick, den habe ich hier vergessen. Arosa ist sonnig, schön und schneesicher, vor allem das Weisshorn.

Wo ist der Kleine Bär?

Juli 18, 2010

Irgendwie ist es eine gute alte Gewohnheit von mir, nachts in feierlichen Momenten den Sternenhimmel zu betrachten. Das mache ich seit meiner Kindheit, als mir mein Vater gezeigt hat, wo der Kleine Bär ist. Da der Kleine Bär auch als Kleiner Wagen bezeichnet wird, wollte ich natürlich wissen, wo der Große Wagen ist. In meiner kindlichen Logik setzte ich seine Existenz voraus. Der Große Bär oder Große Wagen ist praktischerweise in Nachbarschaft zum kleinen Bruder zu finden. Und es gibt etwas, was mich sehr beeindruckt hat. Verlängert man nämlich gedanklich die beiden hellen Sterne, die das Hinterstück des Großen Wagens bilden, um das Fünffache, gelangt man direkt zum Polarstern, zu Polaris, dem Himmelsnordpol.

Dieser frühkindliche Blick in den nächtlichen Himmel hat mich so fasziniert, dass ich damals beschloss, meine ernsten Pläne Archäologe zu werden zu begraben um fortan Astronom zu werden. Als Erstes bastelte ich mir gleich ein Fernrohr mit zwei ineinander geschobenen Pappröhren und einem Brillenglas am oberen Ende und dem Okular eines Fernglases am unteren. Durch Verschieben der Pappröhren und so der Brennweite stellte ich mir den Mond schön scharf ein und betrachtete ihn stundenlang. Meine Nachbarn wunderten sich, warum ein Knirps nächstens solange auf dem Balkon beschäftigt war. Vom Hubble-Weltraumteleskop hatten sie wohl noch nie gehört.

~Sternbilder des Südhimmels, Darstellung von 1661. Etwas anders als die von mir benutzte Sternkarte~

In Kapstadt nun versuchte ich schon in der ersten Nacht, Sternbilder am Firmament zu finden. Gewohnheitsgemäß begann ich mit dem Kleinen Bären. Der war aber nicht da, konnte auch nicht. Polaris mit seinen Bären ist nur in der nördlichen Hemisphäre zu sehen. Dafür gab es andere Sternbilder, von denen ich bis anhin nur gehört hatte. Und auch das nur teilweise. Eine wunderbare Welt tat sich auf und ich kaufte mir eine Sternenkarte. Der südliche Sternhimmel ist reich an Trouvaillen und man sagt, dass es in der südlichen Hemisphäre mehr zu entdecken gibt. Zum Beispiel das Sternbild „Achterdeck des Schiffes“, den „Altar“, den „Becher“, den „Bildhauer“, das „Chamäleon“, den „Chemischen Ofen“, „Eridanus“, die „Fliege“, den „Fliegenden Fisch“, den „Grabstichel“, den „Großen Hund“, den „Hasen“, den „Indianer“, den „Kiel des Schiffes“, den „Kranich“, den „Maler“, das „Mikroskop“, den „Paradiesvogel“, den „Pfau“, den „Pfeil“, den „Schiffskompass“, den „Schwertfisch“, das „Segel des Schiffes“, den „Skorpion“, den „Steinbock“, das „Südliche Dreieck“, den „Tafelberg“, die „Taube“, den „Tukan“, die „Waage“, den „Wolf“, den „Zentaur“, den „Zirkel“ und natürlich das „Kreuz des Süden“. Ich wunderte mich überhaupt nicht, dass diese Sternbilder exotische und teilweise maritime Namen hatten. Galten Sterne oder Sternbilder doch schon in der frühen Seefahrt auch in südlichen Gewässern als Orientierungshilfe für tapfere Steuerleute.

Sternbilder waren schon in grauer Vorzeit für die Menschheit wichtig, denn sie nahmen eine unverzichtbare Bedeutung in der Mystik und Sagenwelt ein. Auch zur Jahreszeit- und Fruchtbarkeitsbestimmung dienten sie. Schon in prähistorischen und schriftlosen Kulturen wurden Sternbilder dargestellt. So ist es zum Beispiel möglich, dass im Stiersaal der französischen Höhle von Lascaux ein kompletter Tierkreis abgebildet wurde. Auch auf der Himmelsscheibe von Nebra, einem Fund in Sachsen-Anhalt aus der Bronzezeit, sind zweifelsohne Gestirne abgebildet. Nordamerikanische Indianer, australische Aborigines, südafrikanische San und mittelamerikanische Inka und Maya liebten Sterne. Altägyptische Darstellungen im Grab des Senenmut beschäftigen sich mit Sternbildern. Dass diese Darstellungen mit dem heutigen Sternhimmel oder den uns geläufigen Sternbildern nichts mehr gemein haben, hat auch mit der Veränderung des Universums über diese riesige Zeitspanne zu tun. So richtig wissenschaftlich wurde die Deutung und Katalogisierung der Gestirne für unsern Kulturraum mit dem Griechen Ptolemäus. Seitdem haben Generationen von Gelehrten um die kommode Benennung und Einordnung von Sternbildern gestritten. In der heutigen Astronomie und Astrophysik haben Sternbilder keine Bedeutung mehr. Hubble, Einstein und viele andere Fachleute haben mit aufregenden Erkenntnissen dafür gesorgt.

Aber wie schön ist es, in den nächtlichen Himmel zu schauen, über den ordinären Alltag hinaus klein zu werden und sich wirren Gedanken über das Universum, Raum und Zeit hinzugeben. Der nächtliche Himmel, auch der von Südafrika, hat eine außergewöhnliche Suggestion.