An der Westfassade des Stadttheaters Schaffhausen hängt seit Anfang Februar 2021 ein merkwürdiger, aber sehr bunter und fröhlicher Wandteppich. Draußen. Ich habe ihn erst vor Kurzem bemerkt, da in den Medien sehr spärlich darüber berichtet wurde; es kaum Hinweise gab. Außerdem ist der riesige Teppich in der engen Gasse, die zum Stadttheater auf dem Herrenacker führt, schwer zu sehen. Schade, dass es wohl keinen besseren Platz gab. Aber Schaffhausen gilt ja als Stadt der Erker und diese 171 architektonischen Köstlichkeiten kleben an beinahe jedem Haus in der Altstadt und lassen kaum Platz für Eingewandertes.

~Der Wandteppich in Schaffhausens Altstadt: Aktion zur Einführung des Frauenstimmrechts.~

Der Wandteppich besteht aus zig handgestrickten Quadraten, die zu einem imposanten Stück zusammengefügt wurden. Jedes Quadrat ist anders und von einer anderen Frau gestrickt. Ziemlich genau in der Mitte ist ein Schweizer Kreuz zu sehen. Wow. Initiiert wurde das Projekt von einer Gruppe, die sich „1971.sh“ nennt. Und zwar aus Anlass der Einführung des Frauenstimmrechts in der Schweiz 1971. Hier höre ich Gelächter und ich habe in meiner Zeit in Deutschland viele höhnische Bemerkungen eingesteckt. „Erst 1971?“ In Afghanistan wurde das Frauenstimmrecht 1963 eingeführt. Unter König Amanullah Khan sollte das Stimmrecht für Frauen in Afghanistan sogar schon 1923 eingeführt werden. Daraus wurde nichts. Die Stammesfürsten jagten den tapferen König vom Hoff. Aber wie wir wissen hat sich das auch mit 1963 geändert. Gerade jetzt unter den Taliban sind die Frauen nichts mehr wert.

~Von vielen engagierten Frauen gestrickt: Unzählige Gedanken zur Selbstbestimmung.~

Warum wir Schweizer erst 1971 für das Frauenstimmrecht waren, habe ich immer versucht mit Anekdoten zu begründen. So stimmen beispielsweise die Bürger im kleinen Halbkanton Appenzell Innerrhoden auf dem Landsgemeindeplatz unter freiem Himmel mit Handzeichen ab. Und auf diesen Platz passt eben nur die Hälfte der Bevölkerung. Aber Schluss damit. Die Schweizer waren schon sehr rückständig. Übrigens nur die Deutschschweizer. In der Romandie wurde regional schon sehr früher das geschlechterübergreifende Wählen eingeführt.

Jetzt aber zu einem Punkt, der bedeutend ist. In Deutschland beispielsweise wählt man seine Regierung turnusgemäß alle vier Jahre, regional und national. Und dann hat sich das. Man kann natürlich noch durch Eingaben beispielsweise einen Windpark verhindern. In der Schweiz ist die Möglichkeit, durch Eingaben und Initiativen in Regierungsgeschäfte einzugreifen, viel lebendiger. Die Stimmbürgerin und der Stimmbürger hat mindestens jeden dritten Monat die Gelegenheit, über mehrere Initiativen zu befinden. Soll das Kantonsspital erweitert werden? Soll die Polizei umgesiedelt werden? Etc. Das ist regional. National kennt man im Ausland vielleicht die Abzockerinitiative. Sie war eine Reaktion auf die als exorbitant empfundenen Vergütungen einzelner Manager in großen Schweizer Unternehmen. Sie wurde 2013 mit einem Ja-Stimmen-Anteil von 67,9% angenommen. Und das in der industriefreundlichen Schweiz. Die Initiative „Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide“ wurde allerdings vor Kurzem knapp verworfen. Da war die Lobby der Lebensmittelindustrie stärker.

~Ein Stück Kunst: Hoffentlich findet es einen dauerhaften Platz.~

Aber zurück zum Stück, respektive zu den vielen handgestrickten Erinnerungsstücken. Die Aktion der Schaffhauser Frauen ist für mich beeindruckend, ja sogar Kunst. Ich mag Kunst, die kollektiv entsteht, sowieso. Das Stricken, die „Lismette“, ist so schweizerisch wie sie nur sein kann. Aber hier ist sie keineswegs provinziell. Und ich glaube, in Gedenken an meine frühere Amme, das viele kostbare Gedanken in den Teppich hineingestrickt wurden. Sie, meine temporäre Kindsbetreuerin, schenkte mir mal etwas Gestricktes mit der Bemerkung, viele gute Gedanken eingearbeitet zu haben.

Fazit: Tolle Idee, Kompliment an die Damen. Und, wo geht der Teppich hin? Eigentlich gehört er ins Landesmuseum in Zürich.